Tellerlippe



Mursi, Tellerlippe, Äthiopien

Frau der Mursi, mit Tonteller in der Unterlippe, Äthiopien

In Äthiopien lebt ein Volksstamm, dessen Frauen ein ganz besonderes Verhältnis zu Körperschmuck haben – die Mursi. Die aus etwa 4.000 Menschen oder auch weniger bestehende ethnische Gemeinschaft der Mursi lebt im Tal des Omo auf dem Mursi-Plateau im Nationalpark Mago.

Die karge Umgebung, in der dieser Volkstamm sich in Dorfgemeinschaften niedergelassen hat, kann fast nur zur Viehzucht und dem Anbau von Mais, Kichererbsen und Bohnen genutzt werden. Nach der Regenzeit, wenn das Hochwasser des Omo abgeflossen ist, pflanzen die als Hackbauern tätigen Mursi ihre Feldfrüchte an. Aus der Viehhaltung sind Milch und Blut die überwiegend genutzten Produkte.

Die Besonderheit der Mursi ist der für europäische Vorstellungen barbarisch erscheinende Körperschmuck der Frauen. Neben traditionellen Bemalungen des Körpers und der Anbringung von Schmucknarben, die auch bei Männern sehr beliebt sind, liegt das Hauptaugenmerk der Frauen auf den Lippen. Die Unterlippe wird aufgeschnitten und mit Tontellern geweitet. Der so entstandene Lippenwulst wird allmählich vergrößert und gedehnt, bis Tonscheiben von beachtlicher Größe in die „Halterung“ passen. Damit die Teller im Mund nicht auf Widerstand stoßen, werden den Frauen auch zwei Schneidezähne herausgebrochen. Diese Prozedur beginnt bei Mädchen nach Beendigung der Pubertät und gilt als Schönheitsideal, das sich auch maßgeblich auf das Ansehen der Frau und ihren Preis bei der Verheiratung auswirkt. Manche Frauen belassen es nicht bei dem Lippenschmuck, sondern behandeln auch ihre Ohrläppchen entsprechend, so dass auch darin Tonscheiben getragen werden können.

Dieser für die Mursi charakteristische Körperschmuck lockt auch viele Touristen bei einem Besuch des Nationalparks zu den Dörfern dieses Volksstamms. Sie kommen meist, um die skurrilen Lippenformen zu fotografieren, wofür den Frauen ein möglichst vorher zu vereinbarender Obolus ausgehändigt wird. Trotz dieser Beeinflussung durch den Fremdenverkehr hat sich das Leben der Mursi in den letzten zwanzig Jahren kaum verändert. Sie ernähren sich noch immer aus ihrer Landwirtschaft, denn die Jagd ist wegen des geringen Tierbestandes im Nationalpark kaum noch möglich. So betrachten die Mursi die Besichtigungstouren zu ihrem Museum, in dem sie praktisch als lebende Exponate zu bewundern sind, als lukrativen Zusatzverdienst.