Reisebericht Malawi und Mosambik 2008 Teil 3



--- Warten aufs Essen --- Wir bewohnen ein lustiges kleines Chalet mit einem bunten Bett und einer mit Spitzendeckchen verkleideten Zimmerdeckke. Vom Strand ein paar Meter unterhalb blickt man unmittelbar auf besagte Brücke zur Insel, die nur einspurig zu befahren ist (mit kleinen Ausweichnischen). Die Nacht ist sehr anstrengend gewesen, es ist Wochenende und im Dorf wird mit Trommeln und Tanz gefeiert. Es gibt außer an der Autostraße kein elektrisches Licht und so ist es eine durchaus intime Szene, wenn ins-besondere jüngere Frauen sich zusammendrängeln und dabei ausgelassen tanzen, jede für sich oder auch rhythmisch in einer Gruppe und andere, Frauen, Männer, Kinder, sich eng um die Tanzenden scharen. Auf einem Nachtmarkt wird gebratener und geräucherter Fisch verkauft. Beim ersten Mal hauen sie uns noch mächtig übers Ohr. Ein kleiner Fisch etwa – das sind die richtigen Preise – kostet zwei Meticais, fünf Cent oder so. Am nächsten Morgen können wir den Fischern bei der Arbeit zusehen. Denn als wir jetzt zu Fuß über die Brücke gehen, ist Ebbe. Die meisten von ihnen sind, genau betrachtet, Sammler, tragen Körbe bei sich und suchen den Grund nach kleinen Meerestieren ab. Wo noch Wasser verblieben ist, sieht man von der niedrigen Brücke auf bunte Fischschwärme hinab. Zwei Männer ziehen, im Wasser watend, ein größeres Netz zusammen, ihre Ausbeute ist, soweit man sehen kann, gering. Die Ilha de Moçambique, auf der einstmals Vasco da Gama gelandet ist, nachdem er das Kap der Guten Hoffnung umrundet hatte, ist lange Zeit Amtssitz der portugiesischen Kolonialver-waltung gewesen. Davon ist heutzutage mit wenigen Ausnahmen, zu denen in erster Linie der alte Gouverneurspalast zählt, nicht mehr viel übrig geblieben. Die Häuser, bis zum Abzug der Portugiesen in den siebziger Jahren noch intakt, sind meistens heruntergekommen, zuweilen bloß noch Ruinen. Es fehlt an Geld bzw. an Unternehmern, der Eintrag auf der UNESCO-Welterbeliste scheint nicht viel zu bewirken und das erhoffte Gefühl Portugal in Mosambik zu erleben will sich nicht einstellen. Selbst beim Besuch des Palastes mit seiner großen Kapelle läuft man nur durch ein museales Stück Oberklasseleben mit Möbeln zusammengetragen aus anderen portugiesischen Kolonien. In einer Kneipe mit einer hübschen Wirtin treffen wir Joachim, einen Deutschen. Er lebt auf der Insel, ist Unterwasserarchäologe und erzählt uns von seinen Grundstücken und den Geschäften, in denen er mitmischt. Als er genug davon erzählt hat, steht er auf und entschuldigt sich mit einem dringenden Termin beim Frauenfußball. Eigentlich würden wir ihm gerne folgen, besser gesagt, würden uns gern ein Spiel ansehen, aber Joachims Ortsangabe ist so unklar wie er selbst, wir lassen’s bleiben. Am Abend streifen wir wieder über den Nachtmarkt, besorgen uns eine Flasche portugiesischen Rotwein, mit der wir noch eine Weile draußen am Strand sitzen. Erneut herrscht viel Tamtam, dieses Mal aber in Form von stampfender Musik aus überdrehten Lautsprechern. Sie begleitet uns fast die ganze Nacht hindurch, mit Ohrstöpseln lässt es sich ertragen. Einen Morgenkaffee trinke ich nicht mehr bei Helena, sie schüttet das übliche Rührpulver in eine Kaffeemaschine und verlangt 40 Meticais pro Tasse (kalt ist er auch noch), der Gegenwert von zwanzig geräucherten Fischlein. Dieses Mal trinken wir den Kaffee drüben auf der Insel im Restaurant eines von einer Französin geleiteten Hotels, der Kaffee schmeckt herrlich, die Bedienung ist wunder-bar bunt. Einige Touristen laufen die Sträßchen auf und ab, es gibt jedoch nicht allzu viel zu sehen hier und so sind wir froh, als wir, angelockt vom Geruch frisch gesägten Holzes, an einer Baustelle stehen bleiben und der Bauleiter uns in dem alten Gemäuer herumführt, das restauriert werden soll. Er sagt, dies seien mit die ältesten Mauern auf der Insel, sie stammten noch aus dem 14. Jahrhundert und haben, wenn das stimmt, schon hundert Jahre vor Vascos Ankunft hier gestanden. Bemerkenswert ist unser Mittagessen. Das Lokal haben wir zufällig gefunden, nachdem ein anderes, das wir auf-suchen wollten, geschlossen hat. Die Wirtin empfiehlt uns frischen Tinten-fisch, wir sind gerne einverstanden. Sieben Stück serviert sie uns dann, dazu Kartoffeln und anderes Gemüse. Dass der Kochvorgang freilich zwei(!) Stunden dauert, ist kaum zu erklären. Nach ungefähr einer Stunde immerhin schält Madame höchstselbst die Kartoffeln, dazwischen hört man vielleicht einmal etwas Geschirr klappern, dann wieder lange gar nichts, als es aber endlich soweit ist und das Essen aufgetragen wird, schmeckt es – himmlisch. (Ich lasse mich zu einem ebensolchen Trinkgeld hinreißen.) Ja und dann fahren wir wieder zum Festland zurück und sparen uns den vierzigmi-nütigen Fußmarsch. Jane und Allen sind am Morgen bereits losgefahren, ein älteres französisches Ehepaar ist in der Zwischenzeit gekommen, auch sie im Geländewagen mit Dachzelt unterwegs, sie reisen quer durch den Kontinent. Wir breiten meine Karte aus, benennen Routen zwischen Kapstadt und Addis Abeba, die wir schon einmal gefahren sind, der Franzose sortiert jeweils genau nach dem Grad der Gefahr oder Ungefährlichkeit und mir wird fast warm ums Herz bei so viel Globetrottertalk. Der Mann – wir haben uns namentlich gar nicht vorgestellt – spricht ein lupenreines Deutsch und gleicht der Kritikergestalt Reich-Ranicki sogar bis auf den Zungenschlag. Am Morgen lädt uns das Ehepaar, Mitte oder Ende sechzig werden sie sein, zum Kaffee ein. Sie haben alles an Bord, der Wagen ist voll gestopft bis unters Dach, ein eigener Wassertank gehört mit zur Ausrüstung und sie weichen vor keiner Gefahr. Zum Abschied Umarmungen.

--- Edelsteine --- Es ist nicht schwer ein Pickup zu finden, das uns bis zur Abzweigung nach Nampula bringt. Aber noch ehe wir diese erreichen, werden wir mitten auf der Strecke, man kann sagen, umgeladen auf ein anderes Pickup, das nun direkt zu dieser Stadt fährt, die wir schon das zweite Mal anfahren und die uns (als wir sie zuvor mit Simon passiert hatten) nicht eben sympathisch erschienen war. Wir steigen dort in eins der Stadttaxis um und gelangen zu einem Busbahnhof, von dem aus an diesem Tag noch ein einziger Bus nach Mólocué abgeht, eine Zwischenstation auf dem Weg zur Küstenstadt Quelimane. Dem Chauffeur liegt an unserem Wohlergehen, er will uns gleich etwas zu trinken besorgen, fährt seinen Bus sogar eigens aus der frühen Nachmittagssonne in den Schatten. Aber das ist eher ein Ablen-kungsmanöver, denn die Abfahrtszeit, die er uns verkündet hat, ist bald nur noch Schall und Rauch. Geduld ist die afrikanischste aller Tugenden und es kann uns deshalb bald schon egal sein, ob wir auch an diesem Tag erst wieder nach Sonnenuntergang ankommen werden. Zwei Motorräder werden zwischenzeitlich noch aufs Dach gehievt und als es schließlich losgeht, steht die Sonne bereits tief. Die Straße ist nagelneu, an den Rändern und dem Mittelstreifen ist sie mit Refektoren bestückt, so dass man nach Einbruch der Dunkelheit glaubt auf einer Landebahn unterwegs zu sein. In Mólucué angelangt, nennen wir dem Fahrer den Namen eines Hotels, er kennt diese Pensão, aber: Was wollt ihr dort? fragt er, er hat ganz andere Pläne mit uns. Alle, die noch im Bus sitzen, müssen erst mal warten, denn der Fahrer kümmert sich im Augenblick nur um uns. Er schleppt uns zu einem Restaurant: Hier müsst ihr was essen, nur hier, ja? Danach dann zu einem Hotel gleich nebenan. Es hat erstaunliche Ähnlichkeit mit dem in Cuambo, die Herzlichkeit des Nachtwächters, der uns in Empfang nimmt, inklusive. Der Unterschied zu Cuambo ist, dass diesmal die Matratze unter dem löchrigen Moskitonetz auf dem Zementboden liegt, was angesichts mancher Betten kein Nachteil zu sein braucht. In dem winzigen Zimmer gibt es sogar noch eine Art Nebenraum, kahl, unverputzt, düster, der aber kein Klo ist (dazu fehlt ein Loch). Wozu ist er? Karin findet’s heraus, sie entdeckt zwei Nägel in der Wand: Es ist der Schrank. Was nun die Toiletten betrifft, man erreicht sie auch mit geschlossenen Augen. Wir bedanken uns jedenfalls herzlich bei dem Busfahrer, der es wirklich gut mit uns meint (das Zimmer kostet auch bloß zwei Euro) und der uns dem lieben Nachtwächter vor dem Abschied noch einmal als seine Schutzbefohlenen ans Herz legt. Das Hier-müsst-ihr-essen-Restaurant ist gar nicht mal übel, ich esse ein Ziegencurry. Zum Aus-klang dieses Tages noch ein Schlückchen Rotwein und der Besuch eines Mannes vor unserer Tür, der drei Tüten mit ungeschliffenen Edelsteinen vor uns ausbreitet, Turmaline und Aquamarine. Können wir für umgerechnet 500 Euro haben. Wollen wir aber nicht. Für die Weiterfahrt ist unmittelbar nach dem Morgenkaffee gesorgt. Denn da steht wieder ein großer Lkw und wieder werden wir rasch mit dem Fahrer einig, er wird uns bis Quelimane mitnehmen. Auch er ist freundlich bemüht, sorgt dafür, dass wir uns unterwegs mit dem Nötigsten versorgen können, und wir lernen darüber ein Städtchen namens Mecuba kennen lernen. Der Mann beklagt sich über die schlechten Straßen im Land, die schlechte Organisation, über die Polizisten sowieso. Wir erleben sie auf all unseren Lkw-Fahrten, es sind Wegelagerer in Uniform, die an fast jeder Straßensperre (davon gibt es etliche) den Fahrern Geld abpressen, zwanzig, fünfzig Meticais, manchmal auch mehr. Si-mon hatte erzählt, dass sie ihn sogar einmal unter einer falschen Anschuldigung für zwei Tage ins Gefängnis geworfen hatten. Gelegentlich kontrollieren sie auch unsere Ausweise (haben aber niemals Geld verlangt), und als mir das einmal zu viel wird, scheuche ich einen von ihnen aus der Fahrer-kanzel eines Lkws. Er hat sich das immerhin gefallen lassen. Unser Ziel ist das »Hotel Rosy« in Quelimane. Allerdings ist es keine gelungene Nummer. Schon die Frau an der Rezeption ist träge und desinteressiert. Das geräumige und saubere Zimmer verfügt über ein Bett, das einer diffusen Vorstellung von besonderen Ansprüchen folgt und mit Plüschkissen voll gepackt ist, außerdem ein kleines Nachtschränkchen. Ansonsten ist da nicht einmal ein einziger kleiner Haken zum Wasdranaufhängen, kein Teppich auf den kal-ten Fliesen, nichts. Die Dusche ist kalt und verlangt ein besonderes Gespür, damit man ihr etwas Wasser entlocken kann, die Klospülung geht nicht, ist kaputt in alle Ewigkeit. Es ist eigentlich immer dasselbe: Kaum zahlt man etwas mehr, fängt man an auf Einzelheiten zu achten (zum Beispiel ob sie uns auch ein zweites Handtuch hinlegen, was dann erst auf Nachfrage ge-schieht), in den einfachen Unterkünften ist man dagegen für alles dankbar, eben weil man gar nichts erwartet. Unweit des »Rosy« ist die alte Moschee, die Lautsprecher auf dem Minarett sind neu und um fünf Uhr am Morgen wird uns die Stimme eines Muezzins mit falsch gesungenen Tönen aus dem Schlaf reißen. Aber jetzt Quelimane, eine, wie ich finde, angenehme, unaufdringliche Stadt. Das Meer ist zu dieser fortgeschrittenen Tageszeit zwar nur noch ein schwacher Glanz in einiger Entfernung, aber die Bars und Restau-rants erwachen gerade zum Leben und sind, scheint mir, etwas zahlreicher als anderswo. Leider verirren wir uns in eins, das der Guide unter „local food“ notiert (wir haben noch unsere Mama auf der Ilha de Moçambique im Kopf), das aber mit lauter überflüssigem Service-Getue aufwartet. Wir sind die einzigen Gäste, das Essen ist wenig „local“. Als wir beim anschließen-den Abendspaziergang an einem anderen Restaurant vorbeikommen, wo die Hühner draußen auf dem Grill liegen und muntere Unterhaltungen in Gang sind, würden wir uns gerne dazusetzen, aber da ist es für unseren Hunger leider zu spät, außerdem sind wir müde geworden. Von Quelimane, das wie die meisten Städte im Land ohne besondere Sehenswürdigkeiten ist und wenn, vielleicht einmal eine Kirche zu bieten hat aus dem frühen 20. Jahrhundert, von Quelimane also bleibt letztlich nur ein atmosphärischer Eindruck zurück, kein schlechter, aber auch kein nachhaltiger. Doch, die Frau, die an der Straßenecke vor unserem Hotel auf dem nackten Bürgersteig schläft, haftet mir im Gedächtnis. Natürlich ist sie keine Ausnahme, aber die Unmittelbarkeit des Anblicks bedrückt. Die Stadt ist die letzte Station hier im nördlichen Mosambik, nachdem wir Beira und ein mögliches Wiedersehen mit Raïma und João aus unserem Zeitplan gestrichen haben. Am Morgen regnet es kurz. Wir spekulieren darauf, dem Fahrer des Lkws vom gestrigen Tag wieder zu begegnen, er hatte eine ungefähre Zeit genannt, zu der er losfahren wollte, seine ist auch heute wieder unsere Richtung. Eine Weile stehen wir an der Straße und warten auf ihn, aber dann steigen wir in eine Chapa und fahren zur Fernstraße, die zunächst in westliche Richtung über den Sambesi führt und anschließend einen Knick nach Süden macht, wo sich der Kreis dann für uns schließen wird. In Inchope hatten wir uns von Annegret und Tobias verabschiedet, um nach Tete weiterzufahren, nun wer-den wir aus der anderen Richtung kommen und den endgültigen Rückweg nach Maputo antreten. Wo wir jetzt an der Überlandstraße vor Quelimane abgesetzt werden, herrscht Trubel und Durcheinander, zum Weiterfahren bietet sich zunächst nichts an, kein Kleinbus, kein Lkw. Aber das Tramperglück verlässt uns nicht. Ein junger Mann – Mechaniker ist er von Beruf – in einem mit einem sperrigen Bettgestell beladenen Kombiwagen hält an und räumt einen Sitz in der hinteren Reihe für mich frei. Bei Caia überque-ren wir mit ihm den Sambesi. Eine große Brücke wird da gebaut. Noch aber steht nicht viel davon da und das dürfte sich so rasch auch nicht ändern, denn die Arbeiter, die dort gerade an einem Brückenpfeiler werkeln, kann man an einer Hand abzählen. Bis es irgendwann einmal soweit ist, besteigt man eine kleine Fähre. Gibt es hier am Ufer Krokodile? frage ich unseren Fahrer. Jede Menge, sagt er und ich sehe schon wieder keines. In Inchope angelangt, wandern wir über einen Markt. Eine Menge Tücher werden an-geboten, doch für Karin ist kein passendes dabei. An der Straße in einem kleinen Restaurant essen wir Ziegenfleisch mit Massa, es schmeckt gut und es gibt sogar einen Nachschlag, noch mal ein ganzes Schüsselchen Fleisch. Die Leute um uns herum sind neugierig, fragen, erzählen, lachen, eine Frau mit einem etwas verwackelten Gesicht, wohl eine Verwandte der jungen Köchin, bettelt mich zum Schluss um zwanzig Meticais für eine Flasche mosambikanischen Rotwein an. Kriegt sie dann klammheimlich beim Hän-deschütteln zum Abschied. Das Hotel, in dem wir hausen, wird von einem weißen Südafrikaner betrieben, es fällt tendenziell unter die Rubrik „Loch“, ist aber mangels Alternativen nicht zu ändern. Gewohnheit macht stark.

--- Ein bisschen Furore --- Auf dem Hinweisschild gleich nach der Abzweigung in Richtung Süden steht: Maputo 1064 km. Erneut halten wir nach einem Lkw Ausschau, den man ansprechen könnte, aber die wenigen, die wir in Inchope entdecken, sind auf hanebüchene Weise überladen, sie werden kaum vom Fleck kommen. Am Ortsausgang steht ein Bus. Er fährt „direkt nach Maputo“. So weit möchten wir noch gar nicht, Maxixe reicht als Tagesziel aus, jene Stadt, zu der wir von Inhambane aus zuvor mit einer Dhau gefahren sind. Der Busunternehmer ist ein Pakistaner, er sagt, dass wir Maxixe nicht später als drei am Nachmittag erreichen würden. Das ist wohl eher Wunschdenken, denn der Weg ist weit und die Straße, wie wir von der Hinfahrt wissen, von sehr wechselnder Qualität. Immerhin, es ist noch früh am Tag und es kommt nicht auf eine oder zwei Stunden an. Aber die Zeit verrinnt, erst gegen halb elf sitzt ein Fahrer am Lenkrad. Warum er dann noch einmal in den Ort zurückfährt, ist unklar, denn er nimmt weder Frachtgut noch neue Passagiere auf und kaum sind wir wieder am Aus-gangspunkt zurück, verschwindet plötzlich der Pakistaner für eine halbe Stunde, aber dann – hurra! – geht’s los. Es folgen die eintönige Buschlandschaft, die vielen auf den Feldern gelegten Brände, die Schlaglöcher, alles wie schon einmal gehabt, aber da war es noch neu und einen Tick aufregender. Der Pakistaner hatte angekündigt, dass der Bus in einem Zug durchfahren würde, Pustekuchen, er fährt nicht einmal mehr nach Maputo, man wird eine Nacht in Maxixe verbringen. Die Spieße mit zartem Gazellenfleisch, die ein Junge an der Straße verkauft, ist die einzige positive Anmerkung zu dieser Busfahrt, schon weil sie gar nichts mit ihr zu tun hat. Kurz vor Maxixe – es ist bereits acht – setzt der Pakistaner sich erst einmal ab. Wer für Maputo bezahlt hat, muss sich darauf einrichten im Bus oder an der Straße zu übernachten. Wir sind mit unserer (eher zufälligen) Wahl von Maxixe als Tagesziel damit gut weggekommen, umso mehr als ein Campingplatz in unmittelbarer Nähe ist und wir dort ein wunderbares Chalet beziehen kön-nen, mit einer Küche ausgestattet (auch wenn wir keine brauchen), mit dem Meer direkt vor der Tür, einem Restaurant (wenn auch nur von hellhäutigen Touristen frequentiert) und last not least zu einem phänomenalen Preis. Man bekommt Lust hier zu bleiben, aber das letzte Ziel auf dieser Reise ist gleichsam auch das erste gewesen, Quissico. Zwar hat es zunächst einer Diskussion darüber bedurft (mehrerer, um ehrlich zu sein), ob es sinnvoll ist eine positive Erfahrung zu wiederholen, entsprechende Versuche sind in der Vergangenheit regelmäßig gescheitert. Aber Karin findet, dass wir unseren Zirkel, obwohl es ein, zwei interessante Alternativen gegeben hätte, gewis-sermaßen ein zweites Mal schließen und bei Leonard an den Strand gehen sollten. Die hundertundnochwas Kilometer bringen wir schnell hinter uns. Neben uns im Bus sitzt eine Mosambikanerin, die im hessischen Hanau lebt und arbeitet. Ich frage sie, wie die Deutschen auf sie reagieren, welche Er-fahrungen sie macht. Da vergeht ihr ein wenig das freundliche Lachen, man kann sich vorstellen, warum. Noch vor der Abfahrt aus Maxixe hatten wir versucht Leonard telefonisch zu erreichen, vergebens. Jetzt stehen wir mit unseren Rucksäcken in Quissico und suchen nach einer Möglichkeit, zu »Praia e Sol« zu gelangen, nachdem auch ein weiterer Versuch per Telefon keinen Erfolg hatte. Karin erspäht Nils, der gerade aus seinem Auto gestiegen ist, und Nils erzählt uns, dass Leonard in Südafrika sei. Aber Philip sei da und Leonards Hund Jack. Wenn wir uns eine Stunde lang gedulden, könnten wir mit ihm fahren, er habe noch etwas zu erledigen und er be-zeichnet uns den Ort, wo wir ihn zwischenzeitlich finden werden. Wir gehen zu den freundlichen Frauen auf dem kleinen Markt, decken uns mit Brötchen, den besten von ganz Mosambik, mit Salat, Tomaten, Gurken und noch ein paar Konserven ein, irgendwas müssen wir da draußen essen (vielleicht besorgt uns Philip auch ein Huhn), und dann gehen wir zu dem Aussichts-punkt, von wo aus man den wundervollen Blick auf die Lagune hat. Genau den verschandelt man im Augenblick, indem man ein langes Dach über ein paar Bänke und Tische spannt und damit für alle, die nicht dort Platz neh-men, mitten durchs Panorama einen Strich zieht. Karin erblickt drei Frauen, die neben uns eine Treppe zur Straße hinabsteigen. Haben wir sie nicht auf Helenas Campingplatz einmal kurz begrüßt, Engländerinnen? Sie sind es aber nicht, sondern diese hier kommen aus Südafrika und logieren, wie Ka-rin nun erfährt, im Haus jener Frau, in dem sich auch Nils gerade aufhält. Wenig später sitzen wir dann alle in der Sommerküche, die zugleich das Wohnzimmer ist, beim Kaffee zusammen, die Südafrikanerinnen, Nils und seine Freundin, Karin und ich und – die Regenkönigin, Mojaji. Rein physiognomisch entspricht Mojaji sicher nicht diesem romantischen Namen, sie ist groß und korpulent, hat herbe Gesichtszüge und eine Verlautbarungs-stimme, die andere für politische Reden reservieren. Mit Nils plant sie beispielsweise mit Blick auf die hiesige Tradition der Marimbaspieler eine musikalische Begegnungs- und Veranstaltungsstätte – „etwas ganz Großes“ – und für mich plant sie gleich mit. In Kürze, aber eben nicht noch in dieser Woche, sondern zwei Wochen später, wenn wir längst wieder in Berlin sind, findet in Quissico ein Festival dieser Marimba- bzw. Timbila-Spieler statt. Als Journalist, sagt sie, müsse ich daran ein gesteigertes Interesse haben, denn: Es ist  d a s  Festival in Jahren, der Staatspräsident kommt, Mandela kommt, eine Ausrüstung könne sie mir auch zur Verfügung stellen und das mit dem veränderten Rückflug ließe sich ebenfalls regeln („Malaria kommt immer gut an“). Alle in der Runde sehen mich nun erwartungsvoll an und ich komme aus dieser Nummer zunächst nur dadurch wieder raus, dass ich verspreche mir die Sache bis zum morgigen Tag durch den Kopf gehen zu lassen. Sie hat etwas Verlockendes, aber nüchtern betrachtet lässt sich eine Reihe von Gründen (technische, sprachliche usw.) nennen, die mich skep-tisch machen sollten. Und um es vorwegzunehmen, bei allem Pathos, das Mojaji jetzt aufwendet, am nächsten Morgen erwähnt sie ihren Vorschlag mit keinem Wort mehr, vielleicht ist das Ganze, weil auch Publikum anwe-send ist, nichts weiter als ein Auftritt. Mojajis Motiv will ich dennoch nicht klein reden, sie bemüht sich um Reputation für ihre kleine Stadt, aber für mich kann dieses Motiv alleine nicht maßgebend sein. [Wenn ich diese Zeilen jetzt Wochen später aus meinen handschriftlichen Aufzeichnungen übertrage, weiß ich, dass die angekündigten Staatsgäste niemals in Quissico eingetroffen sind, wiewohl das Festival selbst auch über Mosambik hinaus einen Namen hat.] Nils, der zuvor gesagt hatte, dass er bereits andere Gäste erwarte, weshalb kein Platz für uns bei ihm sei, bietet uns nun doch an, dass wir – „wenn’s nur zwei Nächte sind“ – bleiben können, und so beziehen wir ein Chalet, das erste halbwegs bezugsfertige auf seinem Grundstück direkt an der Lagune. Mit ihm und Edith, seiner Freundin aus Swasiland, sitzen wir später am Abend noch zusammen. Die Eindrücke, die ich nach unserem ersten Aufenthalt hatte, verschieben sich. Als ich die Rede auf Leonard bringe, sagt Nils nur: Den Kerl kann ich nicht ausstehen, beklagt sich über Leonards Unzuverlässigkeit, seinen Bier-, seinen Gras- und was noch alles Konsum. Das vormalige „Wir sind Partner“ entsprang wohl Leonards Wunschdenken, Nils braucht andere Partner, siehe Mojaji. Vielleicht, mutmaßt Karin, wartet er auf Leonards endgültigen Zusammenbruch, um günstig an dessen Grundstück zu kommen. Ganz sicher nützt er jeden sich bietenden Vorteil aus (anders als der zu schwache Leonard), sieht die Dinge insbesondere vom geschäftlichen Standpunkt, auch davon, hier „wer“ zu sein, das spricht er offen aus, und als ich ihn im Lauf der Unterhaltung einen knallharten Softie nenne, widerspricht er nicht, lächelt nur. Von den Südafrikanern aus Durban will er nebenbei gar nicht erst reden. Der gigantische Sternenhimmel würde uns noch länger in Atem halten, wenn wir nicht zu müde wären. In den Morgenstunden weckt uns ein von der Lagune aufstei-gender Kloakengestank, nicht alles ist romantisch. Mojaji und ihre südafrikanischen Logierdamen haben sich für sieben Uhr angekündigt, gegen acht treffen sie ein, um uns zu einem Ausflug abzuholen. Obwohl sich Karin auf einen Strandtag gefreut hatte, lässt sie sich überreden an der Fahrt über die Dörfer, so zu sagen mitten in den dörflichen Alltag hinein, teilzunehmen. Warum auch nicht? Mojaji, die Alles-Anführerin, erweist sich als profunde Kennerin von Fauna, Flora, handwerklichen und anderen Traditionen, hält mit ihrem Pickup immer wieder an Orten an, die über bestimmte Lebensgewohnheiten oder kleine Naturphänomene Aufschluss geben. Am Weges-rand, halb verborgen unter einem kleinen Baum liegt beispielsweise ein Holzboot. Kein aufregender Fund, möchte man meinen, aber Mojajis Er-läuterungen über Material und Bauweise machen neugierig, erst recht, als wir später einen dieser Bootsbauer treffen und uns anhand eines noch im Bau befindlichen Bootes überzeugen können, mit wie viel Präzision etwa die Spanten herausgesägt sind, wie viel Mühe überhaupt so ein Vorhaben kostet, wenn man die einfachen Mittel bedenkt, die zur Verfügung stehen. Selbst eine ausrangierte Holzform für Lehmziegel wird plötzlich interessant. Oder was wir über Baobab-Bäume erfahren. Dass sie in der Gegend nicht heimisch sind, wussten wir zwar, auch dass ihr Vorkommen hier etwas mit der Geschichte des Sklavenhandels zu tun hat, damit, dass Sklaven auf ihren Märschen beim Verzehr des mitgebrachten Fruchtfleischs die Kerne ausge-spuckt haben und mancher dieser Kerne dann ausgekeimt ist. Aber ich lerne auch, dass der Baobab eine komplexe Nutzpflanze ist, er speichert Wasser, er deckt mit seinem Fruchtfleisch den Vitaminbedarf, er kann als Bienen-stock dienen, seine Blätter sind essbar, seine Fasern zum Flechten gut usw. Ein kleines Gehöft am Wegesrand offenbart einige der ländlichen Traditionen: Frischer Ton liegt dort in einer Hütte, er wird ohne Drehscheibe zu Schalen geformt; das Wasserspeichern in einer Zisterne geschieht mittels einer Vorrichtung aus gebogenen Wellblechteilen; harzige Rindenstückchen liegen auf einer Matte, Medizin. Strohmatten wie diese flicht ein Mann, der ein paar Meter weiter damit zu Gange ist. Die Südafrikanerinnen dürfen’s auch mal probieren, sie kaufen, was sie kriegen können. Ein Radio quäkt im Baum, gespeist wird es mittels Solarzellen, das sieht man häufiger hier. Wo haben sie das her? Aus Südafrika herübergeschmuggelt, sagt Mojaji. Hier ist es am richtigen Ort, denke ich. Für Live-Musik sorgt Ignácio, ein geh- und damit auch tanzbehinderter Marimbaspieler. Immer wenn Mojaji mit einigen ihrer Gäste kommt, hat er einen Auftritt, sie zahlt ihm eine kleine Gage. Er wird mit seinem Instrument, einem Xylophon, dessen Klanghölzer durch Resonanzkörper wie Kalebassen oder den Schalen der hier so genannten Monkeyfruit verstärkt sind, auch auf dem bevorstehenden Festival auftreten. Vielleicht singt er dazu, wie er es hier lediglich andeutet. Das Tanzen besorgen die Kinder aus der Nachbarschaft, einige von ihnen tun es geradezu bühnenreif, ekstatisch und auf höchst individuelle Art. Der größte Tanzartist unter den Jungs, höchstens vierzehn, braucht nur ein Bein. Das andere hat er in der Hose angewinkelt, wobei nun das leere Ende dieser Hose an das baumelnde Bein einer Handpuppe erinnert. Das Marimbaspiel folgt – so ist mein Eindruck – stets ähnlichen Klangmustern, die Töne kommen etwas schnarrend. Einem der tanzenden Mädchen setze ich meinen eigens mitge-brachten Kulturbeutel auf den Kopf, deswegen, weil man darauf das Wap-pen meines Lieblingsvereins sieht, TSV 1860 München. Ich werde ihnen das Foto hinschicken und sicher ein klitzekleines bisschen Furore damit machen. Die Bäume hängen voller Tangerinen, kaum jemand denkt daran sie zu essen oder sie auf dem Markt anzubieten, sagt Mojaji. Auch die Baobab-früchte mit ihrem dezent süßsäuerlichen Geschmack spielen auf dem Spei-seplan der Dorfbewohner keine Rolle (im Gegensatz zu Gegenden in Malawi). Anders ist es mit den Kokosnüssen. Gleich zu Anfang ist Mojajis junger Assistent Aristide auf eine Palme geklettert und hat wohl so zehn Früchte herabgeworfen, deren Milch wir später trinken. Wie kommt er aber die sechs oder sieben Meter den schlanken Stamm da hinauf? Dadurch, dass man Kerben in die Bäume geschlagen hat und sie wie Leitersprossen be-nutzt. Ich probiere es mit bescheidenem Erfolg selbst einmal aus, stecke aber bald auf, weil ich mir nicht mehr traue. In der Lagune gefangene kleine Fische werden geräuchert, mehrere jeweils zwischen zwei Stecken ge-klemmt und verkauft, wir sind ein gutes Geschäft. Der End- bzw. Wende-punkt der Fahrt ist eine Brücke, die als Requisit eines Dschungelmärchens dienen könnte. Sie verbindet die beiden Ufer eines schmalen Teils der Lagune und sieht von unten betrachtet so aus, als hätte man, anstatt Brücken-pfeiler zu errichten, eine etwas ungeordnete Baumreihe gepflanzt und über abgesägte Wipfel dann Matten aus Asthölzern gelegt. Die Frauen, voran die Regenkönigin, schwimmen im kristallklaren Wasser, Karin in ihrem knappen Bikini und mit ihrem Nofretete-Köpfchen ist der Blickfang der Kinder, die sich zusammendrängen, um die plätschernde Weiberschar zu beäugen. Ich dagegen sitze nur auf dieser Brücke, auf einer Unterlage die wie ein Teil der Landschaft ist. Sieben Stunden hat das Unternehmen am Ende gedauert. Wir kehren zu Nils zurück und haben es nun furchtbar eilig den Vierzig-Minuten-Spaziergang zum Meeresstrand zu machen, zu Leonards Camp. Vasco, Nils’ Hund, zum größeren Teil eine dänische Dogge, begleitet uns und klefft alles, was auftaucht, mühelos beiseite. Er jagt auch Ziegen und Katzen und einmal am Strand kommt er zwei Fischern in die Quere, die ge-rade vorübergehen. Jung, wie er ist, will er natürlich nur spielen. Der Strand ist und bleibt umwerfend einsam, nur Sand, und das Meer ist blau und grimmig. Leonards Haus mit seiner Sommerküche ist gänzlich verwaist, es gibt auch keinen Philip, keinen Jack, nur ein ganz junges Kätzchen, das der wilde Vasco zum Glück nicht zu fassen kriegt. In eine leere Bierdose stecken wir eine kleine Nachricht an Leonard. Mehr als eine gute halbe Stunde können wir wegen der hereinbrechenden Dunkelheit nicht mehr dort verweilen. Zeitig gehen wir zu Bett.

--- Ein Broiler --- Ein Morgenkaffee bei Mojaji und ihre noch immer nicht enden wollenden Erklärungen, hier zum Marimbaspiel. Auch eine CD mit Fotos von unserem gestrigen Ausflug, eigens für mich. Gegen neun haben wir uns dann mit gegenseitigen Komplimenten gerade verabschiedet, als Nils’ und Mojajis Hunde aneinander geraten. Für ein paar Minuten brechen Hysterie und Chaos aus und Nils, der seinem Hund einen Faustschlag versetzen möchte, trifft stattdessen die eigene Nase, aus der dann Blut tropft (eine natürliche Strafe Gottes, weil er uns viel zu heftig für die beiden Nächte zur Kasse gebeten hat). Die Straße ist gut und ein schneller Bus befördert uns die noch ausstehenden 340 Kilometer nach Maputo. Noch ehe wir eine Unterkunft suchen, besorgen wir Bustickets nach Johannesburg, si-cher ist sicher, wir dürfen den Flug nicht verpassen. Unsere Sorge erweist sich später als unbegründet, der Bus wird anfänglich nicht einmal zu einem Viertel gefüllt sein. Nun die Hotelsuche. Das nächstliegende ist eine Back-packer Lodge – wo sind sie eigentlich alle geblieben, die Backpacker? Hi guys, sagt einer beim Empfang, er kennt sich mit unseresgleichen aus, dennoch: fully booked. Er ruft bei einer »Pensão Central« an. Ja, da sei noch etwas frei, und so machen wir uns auf den Weg dorthin. Zwar laufen wir beim ersten Mal daran vorbei und auf Nachfragen hat noch nie einer was von dieser Pension gehört, aber dann finden wir sie doch zwei Ecken weiter und es hat sich sogar gelohnt, denn unser Zimmer liegt nicht im Haupthaus, wo es laut werden kann am Abend, sondern zwei Häuser weiter, ein wenig abgeschieden. Zum ersten Mal seit Sandy und Marina, also seit Malawi, wieder fließendes Wasser im Übermaß (Quelimane rechne ich höchstens so halb dazu). Dagegen ein ungemütlicher Geräuschpegel – zwei Fernseher, laut quietschende Geräte, ein steingefließter Raum – in einem Restaurant, das wir zum Abend in Anspruch nehmen, weil wir noch kein besseres in der Gegend entdeckt haben. Anschließend hängen wir bei Bier und Rotwein im Vorgarten unserer Pensão ab (vor allem ich). Es ist die vorletzte Nacht in Mosambik und der folgende Tag ist ganz für Maputo bestimmt. Der Mercado Municipal, der städtische zentrale Markt, ist eine gelinde Enttäuschung, er ist nüchtern und blass. In gewisser Weise ist er ein Spiegelbild dieser Stadt, in die so wenig vom Rest des Landes einzufließen scheint. Als Bei-spiel sei nur erwähnt, dass die Bananen, sonst allgegenwärtig und auf jeder Kleinplantage zu entdecken, hier aus Südafrika eingeführt werden. Noch eine Beobachtung: Man sieht in der Stadt kaum traditionelle weibliche Kleidung, das haben Städte zwar so an sich, aber damit scheinen auch die Kinder zu verschwinden! Vorbei ist’s mit den fast schon obligatorischen nackten Füßchen, die aus den Tragetüchern der jungen Mütter hervorschauen. Apropos Tücher, zum Schluss ist es ein Inder, bei dem Karin fündig wird. Das Franko-Mosambikanische Zentrum, das sich um das Eiserne Haus gruppiert, einstmals von einem Schüler Gustav Eiffels gebaut, ist ein in vieler Hinsicht angenehmer Ort. Es verfügt auch über einen Skulpturengar-ten. Alle Objekte darin sind aus rostigem Eisenschrott zusammengefügt und sie zeigen die Auseinandersetzung mit dem Krieg: Ein Panzer, ein Flugzeug, ein überlebensgroßer strauchelnder Mann oder ein Gecko, größer als ein Krokodil und mit einem spitzen Kopf aus den sich kreuzenden Teilen einer Kalaschnikoff, sehen alle komisch aus, zugleich aber auch so schäbig und lächerlich wie ein Krieg und seine Antreiber, böse gesagt: männlich. Es ist diese Gratwanderung zwischen Witz und Martialischem, der man auch im Nationalmuseum für Moderne Kunst begegnet. Der Bürgerkrieg, der in Mosambik bis Anfang der neunziger Jahre ausgetragen wurde, ist hier wie auch im Bewusstsein der Leute noch sehr gegenwärtig, wir sind immer wie-der im Verlauf der Reise darauf gestoßen. Zum Museum gehört auch ein kunterbunter Skulpturengarten, beeindruckend ein Objekt, das eine Straßenszene verfremdet. Im hinteren Teil des Gartens ist ein Atelier angesiedelt für plastische Künstler. Die in einem schmalen Verkaufsraum aufgestellten Arbeiten kommen jedoch kaum über das Niveau von Souvenirläden hinaus (die vermutlich auch damit beliefert werden). Ich habe meinen Dokumen-tenbeutel versehentlich im Hotelzimmer liegen lassen, wie konnte das passieren? Gewöhnlich lege ich ihn vorm Zubettgehen unter die Matratze, so auch zuletzt, da ist er aber nicht mehr, außerdem sind unsere Betten ge-macht worden, das gab es sonst nie. Ich suche die Tasche unterm Bett – sie enthält als wichtigstes Dokument meinen Reisepass –, finde sie aber nicht, weil ich viel zu nervös reagiere, schon den nachfolgenden Ärger auf mich zukommen sehe. Aber Karin findet sie. Unterm Bett, ein Stück weiter unten, nichts fehlt. Eine Fehlinformation des Internet-Reisebüros: Dass wir unseren Flug wenigstens 72 Stunden im Voraus bestätigen lassen müssten. Wir rufen eigens in Johannesburg an, der Anruf wiederum wird umgeleitet nach Am-sterdam, von dort dann die Auskunft, dass das mit dem Reconfirming doch schon lange nicht mehr üblich sei. Die indische Frau in dem Kiosk, das Toilettenartikel und einen Fernsprecher mit Zählwerk zum Telefonieren an-bietet, verdient einige Meticais an uns, lächelt und fragt, woher wir kämen. Auch im »Falcon Link«, unserem damaligen Hotel in Jo’burg, rufen wir an, sie sollen uns abholen von Park Station. Sie sagen, sie tun’s. Wir wandern noch weiter herum, brauchen ein paar südafrikanische Rand, aber die Kurse sind schlecht, wir werden erst auf der anderen Seite der Grenze tauschen. Zum Ende des Tages halten wir nach einem abschließenden – Mosambik abschließenden – Essen Ausschau, mit Erfolg. Das auf Holzkohle gegrillte Hähnchen essen wir auf die besondere Empfehlung eines Kellners, noch eines, der einmal ein paar Jahre in Ostdeutschland verbracht hat. Er sagt: Nehmt nicht das Rindfleisch, nehmt den Broiler. Wörtlich, den Broiler. Sogar den Vinho verde, den wir in Portugal als unsere Hausmarke bezeichnen würden, ist hier zu haben. Und das, ja, das war’s dann.

--- Schottland --- Johannesburg ist die letzte Etappe auf dem Landweg, von Maputo aus noch einmal eine Acht-Stunden-Fahrt. Zuletzt hatten wir sie in der Nacht gemacht, nun machen wir sie am Tag. Der Grenzübertritt ist problemlos, danach statt Wildwuchs ausgedehnte Plantagen, bald darauf ei-ne sehenswerte Hügellandschaft mit Monolithen in vielen Rottönen. Dann Eukalyptusbäume und Kahlschlag, eine Papierfabrik, weitere, zum Teil qualmende und stinkende Fabriken, immerhin Fabriken, die man in Mosam-bik äußerst selten einmal entdeckt hat. Nelspruit ist eine größere Stadt auf dem Weg, im Zentrum kann man sie kaum unterscheiden von einer nordeu-ropäischen. Dennis, Leonards Bruder, hatte uns einen Aufenthalt in der hiesigen Umgegend empfohlen, man könne da einen Ausflug ins Gebirge machen und habe den Eindruck, man sei in Schottland. Fehlt bloß noch ein Single Malt, hatte ich gesagt. Und kaum rauschen wir ein Stück durch dieses „Schottland“, holt Karin eine kleine, feine Flasche sechzehn Jahre alten Single-Malt-Whiskey hervor (den sie schon in Berlin als Überraschung für zwischendurch eingepackt hatte, ohne ahnen zu können, dass sie hier einen derart passenden Anlass dafür finden würde). Wir nehmen jeder einen Schluck, ungefähr vier sind in der Flasche – fantastisch! Ein bisschen Afrika erscheint auch am Straßenrand, einmal ein einsamer Strauß, dann ein ein-sames Kudu und sogar eine kleine Schar ziemlich großer Paviane. Johannesburg bei Tag sieht auf diesen zweiten Blick nicht mehr so schrecklich aus. Nicht dass man es plötzlich mögen muss, die Straßenschluchten im Zentrum, die amerikanisch anmutenden Vorstädte, die Blechbaracken da-zwischen, aber es wird ein wenig konkreter, „menschlicher“. Das mit dem Abholen in Park Station klappt nicht, jedenfalls nicht auf Anhieb. Es kostet uns zwei weitere Anrufe, ehe Mr. Tonguy erscheint, derselbe der uns schon einmal am Flughafen abgeholt hatte, er erkennt uns auch wieder. Es ist ein ziemliches Stück Weg zum »Falcon Link Hotel«, wo man uns dann nur eines der teuren Zimmer anbietet. Aber das Zimmer ist riesig groß und hat auch einen Balkon. Über ein paar Abkürzungen begleitet uns der junge Ma-nager, Benjamin heißt er, zu einem Supermarkt, wo wir uns ein Abendessen besorgen und so sitzen wir anschließend bei italienischem Käse, südafrika-nischem Rotwein und einem pappigen Stück Brot (weil eben auch südafri-kanisch) auf einer Decke, die wir auf dem Boden unseres Zimmers ausgebreitet haben, und zelebrieren unsere letzte afrikanische Nacht. Wie schon mal in diesem Hotel braust auch in dieser Nacht ein Flugzeug mitten durchs Zimmer, trotzdem schlafen wir gut und ein wenig länger als sonst. Auch können wir das Zimmer noch bis in die Nachmittagsstunden hinein behalten. Das Frühstück aber ist so eine Sache. Nicht einmal ausreichend Kaffee oder Milch sind vorhanden, Butter und Marmelade auch nicht, was soll da noch diese nadeldünne Burenwurst? Wir sitzen anschließend draußen, ich im Garten und Karin auf dem Balkon, machen Reisenotizen. Gegen halb vier bringt uns dann ein etwas ungeselliger Chauffeur zum Flughafen. Zum Einchecken stellen wir uns in die Business-Class-Reihe, das geht schneller. Bleibt noch, ehe wir die (sehr lasche) Pass- und Zollkontrolle passieren, den Rest der winzigen Whiskeyflasche auszutrinken, für jeden ist ein Schluck übrig. Dazu setzen wir uns in ein Café, werden dann zuerst falsch, danach gar nicht mehr von dieser blöden Kellnerin bedient, stehen einfach wieder auf und lassen uns ein allerletztes Mal afrikanischen Wind um die Ohren wehen. Es ist sogar ziemlich windig draußen vor dem Eingang zum Termi-nal, wo von Afrika nur noch ein Parkplatz übrig ist. Wir sagen Cheers und verschwinden danach im Moloch der Duty free Shops. Mit den letzten Krö-ten, die wir haben, sind wir nur noch an Essbarem interessiert, konkret an Kudu-, Straußen- und Krokodilfleisch, das gibt es nämlich in kleinen Beu-teln bzw. Dosen. Die kulinarische Vorfreude auf Air France – auf dem Hinflug gab es ein sehr beachtliches Essen, wo gibt’s das mal im Flugzeug? – wird bitter enttäuscht. Der Grund liegt auf der Hand: Man hat sich nicht aus Paris, sondern aus Johannesburg versorgt (und auch nicht das pappige Brot vergessen). Aber das ist letzten Endes nicht so entscheidend, denn die Sitz-polster erinnern beängstigend an die, auf denen wir gewöhnlich in unseren Chapas saßen, man probiert dauernd neue Positionen. Zum Schlafen komme ich auch deshalb nur minutenweise und so sind die rund zehntausend Flugkilometer tatsächlich eine letzte physische Prüfung. Gute Kondition erfordert auch der Pariser Flughafen Charles de Gaulle. Man läuft über endlos scheinende Gänge, dann stauen und drängeln sich plötzlich Hunderte von Leuten vor zwei oder drei kleinen Passschaltern. Sorry-sorry-sorry ruft eine Amerikanerin und stemmt sich gegen den Strom, weil sie glaubt in der fal-schen Reihe gestanden zu haben, Sorry-sorry-sorry ruft wieder dieselbe Frau (noch einen Sohn im Gefolge), weil sie mittlerweile festgestellt hat, dass sie ursprünglich doch in der richtigen Reihe stand. So läuft das jetzt, wir sind beinahe zu Hause. Und dann erneut ein langer Weg zu unserer spe-ziellen Abflughalle. Die Idee kurz in die Stadt zu fahren, haben wir wieder fallen lassen. Was wir dort kriegen, entdecken wir auch hier: Käse, Baguette und Rotwein und ein wunderbares Croissant, vermutlich das beste auf der Welt. Mit dem Krokodilfleisch in Dosen hat Karin beim Zoll noch kurz Probleme, aber die zuständige Frau hat Verständnis und sagt: Packen Sie’s ganz unten in die Tasche. (Dann sieht’s keiner.) Danach der Anschlussflug nach Berlin und schließlich sind siebzehn Stunden Fliegerei und Warten und Laufen zu Ende. Bleibt immer noch das Taxi nach Hause, im Briefkasten liegt verabredungsgemäß der Wohnungsschlüssel, wir sind angekommen und umarmen uns fest.

--- Zwei, drei Gedanken hinterher --- Der Typ, mit dem ich damals unterwegs war, war Franzose. Wir hatten uns irgendwo an der Straße getroffen und beschlossen unser Tramperglück gemeinsam zu versuchen. Er sprach kaum Deutsch, hatte aber eine Großmutter in Trier und von der zitierte er immer wieder den Spruch: Weeß mer’s? Zu dieser Großmutter war er un-terwegs, und als es begann dunkel zu werden, suchten wir uns einen Unterschlupf. Wir fanden einen in einem leer stehenden Ziegenstall, er war un-verschlossen und bloß ein paar vertrocknete Kötel lagen herum. Am Morgen erkannten wir, dass unweit zwei Häuser standen, von denen aus man unsere Anwesenheit hätte bemerken können und wir beeilten uns mit dem Auf-bruch. Wir hatten es beide nicht mehr sonderlich weit zu unserem Ziel und würden wohl gegen Mittag angelangt sein. Als ich das beiläufig erwähnte, zog der Franzose die Schultern hoch und sagte: Weeß mer’s? Es war seine persönliche Philosophie, etwa wie andere immer wieder verblüfft feststel-len, dass doch „alles relativ“ sei.
Man konnte sich zwar nie ganz sicher sein, aber das Trampen mit kleinem Gepäck war Ende der sechziger Jahre wie ein Freifahrtschein und vor allem in Deutschland hatte man so gut wie keine Probleme damit. Sogar mein Vater, dem es ausgesprochen fremd war, einen langhaarigen Hippie in sein Auto zu laden (von mir selbst einmal abgesehen), tat genau dies – zwar nur ein einziges Mal, aber immerhin. Jenem Menschen erzählte er dann, dass sein Sohn ebenfalls mit dem Daumen unterwegs sei, es war so eine Art Re-ferenz, um nicht zu sagen, Wiedergutmachung.
Bis in die achtziger Jahre ging das mit dem Autostopp noch, dann ebbte es rapide ab. Den letzten, ich nenn’s mal, lupenreinen Lift hatten Karin und ich in Äthiopien. Der Fahrer einer größeren Firma oder Hilfsorganisation nahm uns in einem Geländewagen mit und wir brauchten nichts dafür zu bezahlen. Aber das war bereits 1996 und da hatten wir einiges Geld und fanden es hinterher fast ein bisschen peinlich, dass wir uns nicht doch er-kenntlich gezeigt hatten.
Von Michel Leiris, einem französischen Philosophen, stammt der Satz, dass das Reisen ein symbolisches Mittel sei nicht zu altern. Ich würde behaupten, dass dieses Mittel nun 2008 eine geradezu physische Wirkung bei mir hatte, je stärker, desto länger die Reise dauerte. Erst als Karin mich darauf aufmerksam machte, dass wir mit unseren Rucksäcken längst nicht mehr so weite Wege gelaufen seien wie etwa noch zehn Jahre früher, wurde die Illusion ein wenig abgeschwächt, aber ganz verschwunden ist sie nicht. Denn nicht das Reisen schlechthin gibt den Ausschlag, eher die Art des Rei-sens, das on the road-Sein auf staubigen und löchrigen Straßen, die gelegentliche Entfernung zu Annehmlichkeiten wie fließendem Wasser, elektrischem Strom, einem weichen Bett. Mosambik und Malawi sind bettelarme Länder, in dem Sinne genauso zurückgeblieben wie meine innere Uhr es dort gewesen ist.
Wenn Heraklit, der griechische Philosoph, Bewegung damit umschreibt, dass man nicht zweimal in denselben Fluss steigen könne – was man natürlich auch dahingehend deuten mag, dass einem etwas enteilt –, gilt für Reisende doch immerhin, dass sie sich mitten auf diesem Fluss treiben und, um im Bild zu bleiben, von Zeit zu Zeit an irgendein Ufer spülen lassen.
In Mosambik waren wir fast zu viel unterwegs. Wir hatten die Entfernungen stark unterschätzt, und obwohl wir zu Anfang der Reise keinerlei klar umrissene Ziele hatten, also nicht gezwungen waren hierhin oder dorthin zu fahren, boten sich doch immer wieder Orte an, die unsere Neugier erregten, Empfehlungen, denen wir nachzugehen Lust hatten. Stets lagen dann zwi-schen A und B ein Lastzug, auf dessen Ladefläche oder in dessen Fahrer-haus wir Platz nahmen, ein klappriger Minibus mit durchgesessenen Pol-stern und voll gestopften Sitzreihen, ein Pickup, manchmal so stark fre-quentiert, dass man sich durch das Bewegen einzelner Gelenke versichern musste, dass sie überhaupt noch vorhanden waren.
Die Landschaften waren selten dazu angetan zu sagen: Halt, da würde ich gerne mal aussteigen. Wenn es dunkel zu werden begann – und das war schon nach fünf, halb sechs der Fall –, schwand bei mir auch das Bedürfnis irgendwo anzukommen. Die Unterkünfte waren ohnehin bescheiden, hatten oft wenig mehr zu bieten als nur ein Bett (wenn überhaupt) und auch in der jeweiligen Stadt gab es ringsum kaum noch etwas zu entdecken. Daher setzte sich das Gefühl des Unterwegsseins fast nahtlos fort, zumal es Fälle gab, in denen wir ein Hotel gar nicht bei Tageslicht zu Gesicht bekamen, weil wir morgens um vier oder so bereits wieder aufbrechen mussten.
Jack Kerouac hat einmal von der „Reinheit der Straße“ gesprochen, einer Straße, die etwas von einem abwäscht, die dazu angetan ist „alles zu vergessen“, Unstimmigkeiten, Spannungen, auf der es vorangeht. Nicht auf Höhepunkte zu, auf utopische Ziele oder dergleichen, es ist nur, man bleibt im Fluss. Zuweilen hat es dann den Anschein, als brauche man nicht weiter ins Geschehen einzugreifen, nichts zu unternehmen, als ginge alles wie von selbst. Man ist das Fahren und nur ein Schock kann einen aus dieser Bewegung aufschrecken, aus ihr herausreißen und in die andere Wirklichkeit zurückversetzen.
In den Lauf der Dinge sind auch die Leute eingebunden, denen wir begegnet sind, Einheimische, die uns beim Abschied noch hinterwinkten, ein paar Gedanken nachgeschickt haben, sich vielleicht fragten, wo wir wohl am Ende des Tages landen würden? Wir wussten es selbst nie genau. Wollten wir’s überhaupt wissen?
Autor: Remo Nemitz