Madagaskar - Geschichte



Frühgeschichte bis zum Ende der einheimischen Monarchie

Die früheste Geschichte von Madagaskar liegt weiter im Dunkeln. Afrikaner und Indonesier erreichten die Insel etwa im 5. Jahrhundert n.Chr., die indonesische Einwanderung hielt bis zum 15. Jahrhundert an. Seit dem dem 9. Jahrhundert besiedelten muslimische Händler (darunter auch Araber) aus Afrika und den Komoren den Nordwesten und Südosten Madagaskars. Der wahrscheinlich erste Europäer, der Madagaskar zu Gesicht bekam, war im Jahr 1500 Diogo Dias, ein portugiesischer Seefahrer. Zwischen 1600 und 1619 versuchten portugiesische römisch-katholische Missionare erfolglos, die Madegassen zu missionieren. Von 1642 bis zum Ende des 18. Jahrhunderts  errichteten die Franzosen Stützpunkte auf der Insel, zunächst auf Taolagnaro (früher Fort-Dauphin) im Südosten des Landes und später auf der Insel Sainte Marie vor der Ostküste.

Zum Beginn des 17. Jahrhunderts gab es eine Reihe von kleinen madagassischen Königreichen, darunter Antemoro, Merina, Antaisaka und Bétsiléo. Im Verlauf des 17. Jahrhunderts eroberten die Sakalawa unter Andriandahifotsi den Westen und Norden Madagaskars,  dieses Reich zerfiel aber im 18. Jahrhundert. Am Ende des 18. Jahrhunderts wurde das Volk der Merina unter König Andrianampoinimerina (Regierungszeit 1787–1810) vereint. Der König unterwarf auch die Bétsiléo. Radama I. (Regierungszeit 1810 - 1828), erhielt für seine Zustimmung zur Beendigung des Sklavenhandels britische Hilfe bei der Modernisierung und Ausstattung seiner Armee. So konnte er das Betsimisáraka-Königreich erobern. Er erlaubte der protestantischen London Missionary Society, sich im Land niederzulassen.  Die Missionare konnten viele Madegassen zum Christentum bekehren, eröffneten Schulen und trugen dazu bei, die Merinasprache zu transkribieren. Die Merinakultur begann, sich über ganz Madagaskar auszubreiten.

Radama wurde auf dem Königsthron von seiner Frau Ranavalona I. gefolgt (1828 - 1861). Sie erklärte 1835 das Christentum auf Madagaskar für illegal und stoppte einen Grossteil des Handels mit dem Ausland. Während ihrer Herrschaft kam es im Königreich Merina zum Bürgerkrieg. Unter Radama II. (1861 - 1863) sowie unter seiner Witwe und Nachfolgerin Rasoherina (1863-68) wurde die anti-europäischen Politik rückgängig gemacht und Missionare (einschließlich römisch-katholischer) sowie Händler kamen erneut nach Madagaskar. Der Premierminister Rainilaiarivony kontrollierte die Regierung während der Herrschaft von Ranavalona II. (1868 - 1883) und Ranavalona III. (1883 - 1896). Zu dieser Zeit beherrschte das Merinakönigreich bis auf den Süden und Westen ganz Madagaskar. Ranavalona II. erkannte das Christentum öffentlich an und liess sich mit ihrem Ehemann taufen.

1883 beschossen und eroberten die Franzosen Toamsina (damals Tamatave) und im Jahr 1885 etablierten sie ein Protektorat über Madagaskar, das 1890 von Großbritannien anerkannt wurde. Rainilaiarivony organisierte den Widerstand gegen die Franzosen und von 1894 bis 1896 kam es zu schweren Kämpfen. 1896 besiegten französische Truppen unter J.S. Gallieni die Merina, die Merinamonarchie wurde in der Folgezeit abgeschafft.

Kolonialismus, Unabhängigkeit und Alleinregierung


Ab 1904 kontrollierten die Franzosen die gesamte Insel. Unter den Franzosen, die auf Madagaskar mit einer Teile-und-Herrsche-Politik regierten, wurde vor allem die Tananarive-Region entwickelt. Damit profitierten Merina am stärksten von der Kolonialherrschaft. Trotzdem entwickelten sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts unter den Merina nationalistische Bemühungen. 1916, während des Ersten Weltkrieges, kam es zu einer Verschwörung gegen die Kolonialherren. Nach deren Aufdeckung verfolgten die Franzosen vor allem eine Geheimgesellschaft der Merina.

Während des Zweiten Weltkriegs stand  Madagaskar auf der Seite vom Vichy-Frankreich bis die Insel 1942 von den Briten erobert wurde. Im Jahr 1943 übernahm die Freie französische Regierung die Kontrolle. Von 1947 bis 1948 kam es zu einem großen Aufstand gegen die Franzosen, die die Rebellion blutig niederschlugen, zwischen 11.000 und 80.000 Einheimische (die Schätzungen variieren) wurden getötet. Wie in anderen französischen Kolonien nahmen ab 1956 die einheimischen politischen Aktivitäten zu, die Sozialdemokratische Partei (PSD) von Philibert Tsiranana (a Tsimihety) gewann die Vorherrschaft in Madagaskar.

Am 14. Okt. 1958 erreichte das Land – jetzt eine Republik - innerhalb der Französischen Gemeinschaft Autonomie, Tsiranana wurde zum Präsidenten gewählt. Am 26. Juni 1960 wurde Madagaskar vollständig unabhängig. Tsiranana (1965 und 1972 wiedergewählt) war ein autokratischer Herrscher, seine PArtei PSD kontrollierte das Parlament, die Regierung wurde zentralisiert, die Küstenvölker (côtiers) wurden gegenüber den Völkern im Landesinneren (v.a. die Merina) bevorzugt, der französische Einfluss auf Wirtschaft und Kultur blieb nach wie vor stark. Ab 1967 nahm Tsiranana wirtschaftliche Beziehungen mit Südafrika, in dem Apartheit herrschte, auf.

Im Jahr 1972 kam es zu einer Welle von Protestdemonstrationen von Studenten und Arbeitern, die mit der Politik des Präsidenten und der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage unzufrieden waren. Auf dem Höhepunkt der Krise übergab Tsiranana die Macht an General Gabriel Ramanantsoa, der Premierminister wurde. Im Oktober 1972 bestätigte die Bevölkerung von Madagaskar in einem nationalen Referendum mit überwältigender Mehrheit den Plan von Ramanantsoa, für fünf Jahre ohne Parlament zu regieren. Tsiranana, der gegen den Plan war, trat kurz nach der Abstimmung als Präsident zurück.

Das Neue Madagaskar

Ramanantsoa entliess politische Gefangene, die unter Tsiranana inhaftiert wurden, begann, den französischen Einfluss im Land zu reduzieren, brach die Beziehungen zu Südafrika ab und folgte einem moderaten linken Kurs. Im Jahr 1975 wurde eine neue Verfassung angenommen, die Madagassische Republik wurde zur Demokratischen Republik Madagaskar. Im gleichen Jahr löste Ramanantsoa als Reaktion auf die wachsende Unruhe im Militär und Meinungsverschiedenheiten zur Wirtschaftspolitik die Regierung auf. Col. Ratsimandrava kam an die Macht, wurde aber schon einen Monat später ermordet. Comdr Lt. Didier Ratsiraka wurde im folgenden Referendum zum Präsidenten gewählt.

Das vom Militär gestützte und von Ratsiraka geführte Supreme Revolutionary Council (CSR) stellte die Exekutive der Regierung. Ratsirakas marxistisch-sozialistische Regierung verstaatlichte einen Grossteil der Wirtschaft und verschuldete sich international, um in die Entwicklung des Landes zu investieren. Die Nation fiel in eine lähmende Schuldenkrise. Ratsirakas Politik der Zensur, regionalen Spaltung und Unterdrückung führte zu mehreren Putschversuche in den 1980er Jahren, während die Nahrungsmittelknappheit und Preissteigerungen sozialen Unruhen hervorrief. In der Außenpolitik verstärkte Madagaskar unter Ratsiraka die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten sowie Europa und entfernte sich weiter von Südafrika.

Ratsiraka wurde im Jahr 1989 unter dubiosen Umständen wiedergewählt, die Wahlen wurden von  Ausschreitungen gefolgt. Madagaskars politische und wirtschaftliche Schwierigkeiten veranlassten die Regierung, einen Umbruch einzuleiten: ein Mehrparteiensystems wurde eingeführt und die Industrie ab den 1990er Jahren nach und nach privatisiert. Nach Demonstrationen und einem langen Streik im Jahr 1991, teilte Ratsiraka seine Macht in einer Übergangsregierung mit dem Oppositionsführer Albert Zafy. In freien Präsidentschaftswahlen 1993 siegte Zafy mit überwältigender Mehrheit gegen Ratsiraka.

Im Jahr 1995 konnte Zafy eine Verfassungsänderung durchsetzen, die es dem Präsidenten anstelle der Nationalversammlung erlaubte, den Ministerpräsidenten zu wählen. Die wirtschaftliche Situation verschlechterte sich weiter, im Februar 1996 kam es zu Demonstrationen. Einige forderten sogar das Enschreiten der Armee. Die Unzufriedenheit mit Zafy führte zu seiner Amtsenthebung durch die Nationalversammlung im Juli 1996. In den Wahlen später im selben Jahr siegte Ratsiraka mit einem Programm der sozialen und ökologischen Entwicklung gegen Zafy. Er kündigte auch Pläne für ein Referendum zu einer Verfassungsänderung an. Bei den Wahlen im Jahr 1998 kamen 63 Mitglieder von Ratsirakas Partei AREMA Partei in die Nationalversammlung.

Bei den Präsidentschaftswahlen im Dezember 2001 trug Oppositionsführer Marc Ravalomanana den Sieg über Ratsiraka davon, die Regierung verkündete aber, dass er nur 46 % der Stimmen erreicht hatte, so dass eine Stichwahl nötig wurde. Ravalomanana erkannte dieses Ergebnis nicht an und erklärte sich zum Präsidenten. Es kam zu einer Pattsituation zwischen seinen und Ratsirakas Anhängern. Obwohl Ravalomanana die Kontrolle über die Hauptstadt behielt, wechselte Ratsiraka, der ausserhalb der Hauptstadt und in grossen Teilen der Armee starke Unterstützung hatte mit seiner Regierung nach Toamasina.

Eine Nachzählung der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU), der beide Kandidaten zustimmten, ergab im April 2002, dass Ravalomanana der Gewinner war. Ratsiraka erkannte dieses Ergebniss jedoch nicht an. Ravalomananas Streitkräfte gewannen schrittweise die Kontrolle über den größten Teil der Insel (mit Ausnahme der Provinz Toamasina). Anfang Juli floh Ratsiraka aus Madagaskar. Die Afrikanische Union, die Nachfolgerin der OAU, erkannte die neue Regierung zunächst nicht an und forderte Neuwahlen. Im Dezember 2002 gewann Ravalomananas Partei die Mehrheit bei den Wahlen und die Afrikanischen Union erkannte die neue Regierung an. Ratsiraka wurde in Abwesenheit angeklagt und 2003 für Veruntreuung verurteilt.

Ravalomanana privatisierte staatliche Unternehmen und bemühte sich erfolgreich um internationale Hilfe und ausländische Investitionen. Seine Regierung jedoch beschränkt teilweise die Presse- und andere politischen Freiheiten. Im Jahr 2005 verbot die Regierung die Neue Protestantische Kirche (FPVM), eine wachsende Kirche, die sich 2002 von der Reformierten Evangelischen Kirche Jesus Christus (FJKM) abspaltete. Der Präsident, ein führendes Mitglied in der FJKM, wurde wegen der Begünstigung einer Kirche eines Verfassungsverstosses beschuldigt, die Gerichte weigerten sich jedoch, das Verbot rückgängig zu machen.

Der Präsident wurde im Dezember 2006 wiedergewählt, allerdings wurde einem wichtigen Oppositionskandidaten, Pierrot Rajaonarivelo, der sich im Exil befand nicht erlaubt, zurückzukehren und sich für die Wahl zu stellen. Ausserdem gab es im November einen Putschversuch durch einen pensionierter Armeegeneral, dem ebenfalls nicht erlaubt wurde, für die Wahlen zu kandidieren. Ende 2006 und Anfang 2007 erlitt Madagaskar schwere Zerstörungen durch eine der schlimmsten Zyklon-Saisons in der Geschichte des Landes. Madagaskar wurde von sechs Stürmen heimgesucht, etwa 450.000 Einwohner waren durch die Zyklone betroffen. Die Parlamentswahlen im September 2007 brachten der Partei des Präsident wieder eine Mehrheit der Sitze.
Autor: Remo Nemitz