Mosambik und Malawi 2008



Der folgende Reisebericht wurde freundlicherweise von Dr. Peter Kiefer zur Verfügung gestellt.
 
--- Startloch --- Mein Name wird aufgerufen, mehrfach, er ist einer von knapp einem Dutzend. Auf dem Flughafen in Johannesburg stehen Karin und ich in einer langen Warteschlange vor der Passkontrolle, mit jedem Aufruf wächst ein wenig die Unruhe. Den Einreisestempel endlich im Pass, eile ich zum Informationsschalter und erfahre, was ich bereits vermutet habe: Dass mein Rucksack nicht unter den eingetroffenen Gepäckstücken ist. Er sei in Paris zurückgeblieben, die Schuld der Fluggesellschaft. Man versi-chert mir, dass er am folgenden Tag mit der Morgenmaschine nachkomme. Wir suchen nach einer Unterkunft, finden sie bei Leuten, die in der Wartehalle kleine Prospekte in die Höhe halten und freien Transport zum Hotel anbieten. Das unsrige liegt in unmittelbarer Nähe des Flughafens, es heißt »Falcon Link«. Die Leute, die das Hotel betreiben, stammen wie auch der Taxifahrer aus Simbabwe, sie sind äußerst liebenswürdig, jeder kleine Scherz wird mit hellem Lachen quittiert. Das kleine Zimmer, in dem wir nächtigen, ist penetrant parfümiert, muss erst einmal ausgiebig gelüftet werden. Es ist Winter im südlichen Afrika, die Temperaturen draußen liegen jetzt in den Abendstunden einiges unter denen im sommerlichen Mitteleuropa. In der Nacht donnert ein Flieger mitten durchs Zimmer, wir werden kurz aus dem Schlaf gerissen. Nach dem Frühstück das Taxi zum Flughafen. Zusammen mit den Passagieren der Morgenmaschine aus Paris stehe ich dort mit gemischten Gefühlen am Förderband und warte auf meinen Rucksack. Er kommt nicht, kommt doch, ist jedenfalls das letzte Gepäckstück, das auf dem Band erscheint. Die Reise kann beginnen, der Start jedoch bleibt holprig. Nachdem wir uns zu Park Station, dem zentralen Busbahnhof, in die dreißig Kilometer entfernte Stadt haben kutschieren lassen (wieder ist es ein Chauffeur aus Simbabwe, Mr. Change), sind alle Überlandbusse in Richtung Maputo längst abgefahren. Wir suchen nach einer Gelegenheit wenigstens ein kleines Stück weit aus Johannesburg hinauszugelangen, vergebens. Die Busse, die vor dem Abend noch starten, gehen durchweg nach Süden oder Westen. Wir wollen nach Osten. Den in einem angrenzenden Gebäudeteil gelegenen Zugbahnhof nehmen wir als Möglichkeit zu spät wahr, haben uns zuvor bereits Tickets für den Nachtbus gekauft. Ein langes Warten beginnt. Da dringt mit einem Mal die Stadt in das Bahnhofsgebäude ein, Männer und Frauen, singend, tanzend, zum Teil mit Stöcken in der Hand, die sie schwingen. Viele tragen rote oder gelbe T-Shirts, sie gehören gewerkschaftlichen Gruppen an, protestieren gegen die gestiegenen Lebens-mittelpreise. Der Gesang hat einen zwingenden Rhythmus und die Menge bildet in Abständen einen wirbelnden Ring um eine frei stehende Rolltrep-pe, von deren oberem Ende ich zusehe. Wir hängen in einem Pub herum, obwohl uns das Bier nicht sonderlich schmeckt. „Danke“, erfahre ich von der Kellnerin, heißt in der Zulu-Sprache „ngiyabonga“; es bleibt die einzige verwertbare Erkenntnis an diesem Nachmittag. Am Abend endlich die Abfahrt nach Maputo, nach Mosambik, unserem eigentlichen Reiseziel. An dem Johannesburg, das wir bei Tageslicht zu Gesicht bekommen haben, kann ich nichts Anziehendes finden. Erst recht in der Dunkelheit kommt es mir jetzt vor wie der Stein gewordene Satz vom Menschen, der des Menschen Wolf ist: Überall heruntergelassene Gitter, hohe Zäune, mit Stacheldraht oder Glasscherben bestückte Mauern. Entweder, denke ich, muss man hier draußen mit den Wölfen heulen oder man wird von ihnen gefressen. Aber das sind nur lose Phantasien.

--- Hängepartie --- Auf der südafrikanischen Seite des Zolls eine verblüffende Frage: Wo ist denn Ihr Einreisestempel? Der Beamte kann keinen entdecken. Doch, sage ich, es gibt einen, nehme den Pass und blättere ebenfalls darin herum, mit demselben Erfolg. Das müssen die am Flughafen ver-gessen haben, sagt der Mann – und drückt mir anstandslos den Ausreisestempel in den Pass. Als ich Karin davon erzähle, findet sie – anstandslos – den Aufkleber mit dem zuvor vergeblich gesuchten Stempel. Männliche Blindheit. Beim Aussteigen aus dem Bus in Maputo dann ein lautstarkes Durcheinander. Taxifahrer, Kofferträger, Straßenhändler, alle stürzen sich auf uns, Afrika rückt ein Stück näher. Ein Mann gibt uns einen Tipp, welcher indische Händler den besten Kurs für südafrikanische Rand bietet. Zu dem gehen wir. Die Währung in Mosambik heißt Metical, im Plural Meticais, sechs- bis siebenunddreißig ist ein Euro derzeit wert. Maputo, die Hauptstadt, ist zwar keine Augenweide, aber sie ist grün und ausgeruht und hat breite Straßen, die schachbrettartig angelegt sind. Zwanzig Minuten sind es zu Fuß zu »Fatima’s Backpacker Lodge«, einer angenehmen Bleibe mit einschlägigem Publikum. Ein Zimmer sei im Augenblick keines frei, aber es könne sich leicht noch etwas ergeben, wenn eine bestimmte Liste eintreffe. Deshalb zuerst einmal wieder hinaus in die Stadt. Das Essen in einem kleinen Restaurant ist mäßig bis schlecht, Karins so freudig erwartetes Fischfilet trocken wie Pappe. Inzwischen ist jene Gästeliste eingetroffen, nun steht es fest, dass doch nichts frei sein wird für diese Nacht. Was tun? Die Wege in der Stadt sind lang, die Zielangaben auf den Minibustaxis sagen uns auch nach längerem Kartenstudium nicht viel, deshalb steht uns nicht eben der Sinn nach Wiederloslatschen. In die muffige Dorm (da wäre etwas frei) wollen wir freilich auch nicht. Auf zwei Terrassen sind Zelte aufgebaut, Steine ersetzen die Heringe, aber es gibt nicht mehr genügend große Steine für unser kleines Zelt. Ein paar Hängematten, die aufgespannt sind, könnten die Lösung sein. Der Vorschlag darin die Nacht zu verbringen, stößt auf Verwunderung, wird aber akzeptiert und der Hotelmanager meint, dass er uns dafür nichts in Rechnung stellen könne. Wir schlendern über einen kleineren Markt, den »Mercado Janeta«, dann eine der vielen Avenidas entlang, und der erste Eindruck bestätigt sich: Maputo ist eine gut belüftete Stadt, sie hat sogar eine mediterrane Ausstrahlung. Wo die Autos fahren, gleitendes Pflaster, die Bürgersteige liegen jedoch alle in Trümmern. Immerhin sieht man liebevoll angelegte Vorgärten. Den Mercado steuern wir dann ein weiteres Mal an, wollen uns ein Abendessen zusammenkaufen, Brot, Tomaten, Zwiebeln, Käse. Käse gibt’s aber nur als Plastikimport aus Südafrika, in Mosambik werde keiner hergestellt. Weshalb nur? Es wird doch auch Rindfleisch angeboten. Schulterzucken. Wir nehmen in einer fröhlichen Marktkaschemme Platz, überlassen uns dem doppelten Maputo, das sich hier tummelt. Neben uns drei Mädchen tragen enge Hosen, spitze Absätze, die sich, wenn sie aufstehen, in den sandigen Boden bohren, unterhalten sich gleichzeitig miteinander und mit ihren Mobiltelefonen. Die Marktfrauen dagegen wickeln sich in bunte Röcke, tragen Plastiksandalen, die Billardspieler vor allem dicke Sonnenbrillen und ein Junge sitzt auf einem Baum, als sei das seine Rettung, und löffelt eine Mahlzeit aus einem Teller. Der Wein kommt aus Südafrika, schmeckt gut und einige der Umsitzenden haben wohl schon ein bisschen zu viel davon getrunken, sie lachen laut und reißen Zoten. Bei »Fatima’s« ist am Abend im Innenhof die Backpackerszene vollzählig. Wir treffen Aaron wieder, dem wir zuvor im Bus begegnet waren, er ist Mitte zwanzig und nimmt an einem landwirtschaftlichen Pro-jekt im weiter nördlich gelegenen Xai Xai teil. Morgen früh wird er wieder mit uns im Bus sitzen, jetzt muss er erst einmal – Backpacker-Routine - ins nächste Internetcafé. Die Hängematte ist am Ende doch nicht das Geeignete, sie ist zu kurz für mich. Nach ein paar erfolglosen Selbstbeschwichtigungs-versuchen gebe ich’s auf und breite mich auf dem Zementboden aus. In der Nacht weckt mich eine aufgeregt maunzende Katze und im Halbschlaf wer-de ich die Vorstellung nicht los, dass sie in meinen Schlafsack gekrochen ist. Unsinnigerweise suche ich eine Weile darin herum.

--- Noch’n Bier --- Der Bus nach Norden ist auf halb sechs in der Frühe terminiert, trifft aber vor »Fatima’s« erst eine gute Stunde später ein. Die Backpacker-Gemeinde ist aufbruchbereit, sie fahren alle an den Strand nach Tofo, auch da gibt’s ein »Fatima’s«. Wir dagegen werden in Quissico aussteigen, einer kleinen Provinzstadt, von der wir lediglich die Information besitzen, dass man eine schöne Aussicht auf eine Lagune hat und dass es dort in einiger Entfernung einen Campingplatz gibt. Ehe der Bus Maputo ganz verlässt, macht er an einer der großen Sammelstellen Halt. Alle zuvor noch wahllos gestapelten Rucksäcke werden jetzt neu verstaut, Einheimische steigen zu, Straßenhändler strecken ihre Arme herein, bieten Getränke an, Hemden, Obst, Taschenlampen, Selbstgebackenes, tausend Kleinigkei-ten. Es wird merklich enger im Bus, die Backpacker wappnen sich reihum mit Kopfhörern, jeder versucht krampfhaft zu schlafen. Viel versäumt man tatsächlich nicht, denn vorläufig bestimmen Buschland und ein paar ge-sichtslose Ansiedlungen das Bild. Auffällig sind allenfalls die mit glänzen-den Reklamelogos bemalten Hausfassaden. Der Deal ist: Ihr spart Verputz und Farbe, das erledigen wir, dafür strahlt nun alles mit unserem Namen. Es sind vor allem die Namen konkurrierender Mobilfunkanbieter. Kaum je-mand könnte sich einen Festnetzanschluss leisten, aber eine Telefonkarte gibt es umgerechnet schon für weit weniger als einen Euro. Telefonieren ist fast zum Volkssport geworden. Allmählich verändert sich die Szenerie, wird abwechslungsreicher, kleine Märkte mit ihrem Angebot an Früchten und Gemüse tauchen auf. Bei jedem Stopp des Busses ist dieser binnen Sekunden von Händlern umzingelt, sie sind ein genauer Indikator für das, was in einer Gegend angebaut wird. Plastikbeutel, die an aufgestellten Astgabeln baumeln, signalisieren, dass man hier Cashew-Nüsse kaufen kann. In Mo-sambik, behaupten die Leute, gäbe es die besten auf der Welt. Sie sind vergleichsweise teuer, schmecken aber gut. Jemand, dem wir später welche davon anbieten, schüttelt nur den Kopf. Nein, sagt er, die würden überhaupt nichts taugen, man sollte lieber noch bis zum Dezember warten, dann seien sie richtig. Mehr und mehr Kokos- und Fächerpalmen, erste Rundhütten, die Palmen verdichten sich zu kleinen Wäldern. Quissico, von den Einheimischen meist Zavala genannt, ist dann allerdings nicht viel mehr als ein staubiges Nest mit einem schäbigen und lauten Hotel. Wir wollen, nachdem wir uns ein Zimmer angesehen haben, bestenfalls noch einen Kaffee hier trinken. Der lässt jedoch auf sich warten, weil kein kochendes Wasser vorhan-den ist. Das kommt uns letztlich zupass, denn an der Bar taucht ein Weißer auf, ich habe einen positiven Verdacht und frage ihn, ob er wüsste, wie man zu jenem Campingplatz kommt. Oh, meint er, mein Stiefbruder ist zufällig der Eigentümer und ich kann euch nachher mitnehmen, wenn ich zurückfah-re. Als er dann wiederkommt – er heißt Dennis – ist Leonard bei ihm, der Bruder. Beide sind Südafrikaner. Leonard ist untersetzt, kahlköpfig, hat eine Boxernase. Fast im Eiltempo schleppt er uns zu dem kleinen Markt der Stadt, wo wir ein paar Lebensmittel einkaufen, und dann fahren wir gemeinsam zu seinem Camp »Praia e Sol«, Strand und Sonne. Die Straße dorthin ist nicht breiter als der Pickup, auf dessen Ladefläche wir sitzen, und sie verdient kaum ihren Namen. Aber was gehen uns Herz und Sinne auf, als wir durch diese Landschaft fahren, vorbei an kleinen Plantagen mit Mais, Bananen, Kokospalmen, Cashewbäumen, Orangen, Tangerinen und vielem mehr, vorbei auch an Weilern, runden Hütten aus Lehmziegeln und Stroh, idyllisch eingefriedet, an grüßenden Menschen, ihrem breiten Lächeln, den bunten Frauen und den Kindern, die zu Leonards aufgedrehter Musikanlage Tanzbewegungen vollführen, schließlich entlang des schilfbewachsenen Ufers einer Lagune, auf der winzige Fischerboote fahren, und über die an einer schmalen Stelle eine eiserne Brücke führt. Der Sand wird immer tiefer, an einer Stelle ist er mit Kokosschalen gepflastert, schließlich erreichen wir den Campingplatz. Er breitet sich auf dem Rücken einer Düne aus. Für jedes Zelt, oder was man sonst mit hierher bringt, ist zwischen Bäumen und Büschen eine Stelle freigekehrt, daneben stehen jedes Mal ein Pavillon, ein Waschbecken, ein gemauerter Grill und davor ist ein hölzernes Schild mit dem Namen eines in Mosambik beheimateten Volksstammes angebracht. Auf unserem steht „Chidawo“. Elektrisches Licht ist nicht vorhanden, Toiletten und Duschen sind ein Stück entfernt und es erfordert etwas Orientierungssinn sie in einer fast mondlosen Nacht zu finden. Auf ihrem Scheitel, ehe die Düne steil zum Strand hin abfällt, ist Leonard zu Hause. Wie soll man ihn beschreiben? Was einem auch zu ihm einfällt, er ist zugleich ein wenig das Gegenteil. Seine Kokainsucht, erzählt er uns, sei er vor ein paar Wochen los geworden, dafür ist er kaum einmal ohne Bierdose in der Hand anzutreffen, aus einer eingedrückten, mit einem zweiten Loch versehenen Bierdose raucht er Gras. Er war mal Boxer gewesen, dann war er DJ und gerade vor seiner angepeilten Hochzeit, die dieser Tage hätte stattfinden sollen, sei er von seiner Braut verlassen worden. Er ist ein widersprüchlicher Typ, aus nächster Nähe sicher schwer auszuhalten, dennoch großzügig, leicht zugänglich und voller Idealismus. Philip kümmert sich hier um ihn, er ist das (schwarze) Mädchen für alles, besorgt wie eine Mutter. Dennis, sein Stiefbruder, arbeitet in Zentralmosambik für ein Bohrprojekt, ist jünger als Leonard, kaum weniger genusssüchtig, aber kontrollierter und sicher ver-lässlicher. Er verbringt hier seine freien Tage und ist auf seiner weiten Herfahrt von einem jungen Simbabwer begleitet worden, einem der vielen, die vor der Diktatur in ihrem Land geflohen sind. Jarus heißt er und er erzählt Gruselgeschichten von Mugabe und Konsorten, Als ich ihm erzähle, dass man in einer Demokratie, die er sich wünscht, den Präsidenten öffentlich und unangefochten und in aller Schärfe kritisieren kann und niemand einem dieses Recht streitig machen darf, verrät seine erstaunte Miene, dass ihm das doch ein wenig zu weit geht. Karin und ich – beide immer angesprochen mit „you guys“ – sind von Anfang an nicht einfach zahlende Gäste, sondern werden überall mit einbezogen. An diesem Abend wird Fleisch über dem offenen Feuer gegrillt. Leonard und Dennis pumpen sich mit großen Mengen Bier voll, rauchen ein paar Pfeifen und sind jetzt in der Stimmung sich ins Auto zu setzen und zum Strand hinunterzujagen. Karin und ich stehen anschließend mit Philip in Leonards Hütte und Philip nimmt jede der her-umstehenden Bierflaschen in die Hand, sieht nach, wie viel noch an Inhalt verblieben ist, er will uns demonstrieren, dass Leonard regelmäßig den Überblick verliert. Und wo ist das gegrillte Fleisch? Niemand hat bis jetzt davon gegessen. Philip führt uns in die Küche, das Fleisch und der gewürzte Maisbrei, den er dazu gekocht hat – „pap“ sagen die Südafrikaner dazu, „massa“ die Mosambikaner –, sind noch unangerührt. Wir halten ein kurzes und unentschlossenes Mahl im Stehen. Am darauf folgenden Morgen sind Leonard und Dennis fast munterer als wir. Eine Fahrt zurück in die Stadt, ein paar Einkäufe, und weil das mit dem Kaffee schon wieder zum Problem zu werden droht (und weil wir anpassungsfähig sind), trinken wir mit den beiden erst mal ein kaltes Bier. Auf dem Weg zurück ein Halt vor einem prächtigen Baobab, dessen Stamm an einer Seite versehrt ist. Die Leute, auf deren Grundstück er steht, hatten versucht ihn abzubrennen. Leonard, der Naturschützer, hat ihn dadurch gerettet, dass er versprach gelegentlich mit seinen Gästen zu kommen und dann einen kleinen Geldschein dazulassen. Der Palmwein, den sie uns hier anbieten, schmeckt tranig-sauer. Leonard ist nicht der Einzige, der sich in dieser Umgebung eine Zukunft erträumt. Nils, dänischer Abstammung, hat eine Rosenfarm in Swasiland. Auf seinem hiesigen Grundstück direkt an der Lagune ist er im Augenblick mit dem Bau kleiner Chalets beschäftigt. Auch zu ihm sollen bald Touristen kommen. Als wir ihn kurz besuchen, schweißt er gerade eine Dusche zurecht. Er geht akkurat zu Werke, fast so, als müsse er das Gesellenstück eines Klempners lie-fern, spricht von seinen Plänen, etwa der Installation von Windspiralen in der Lagune zur Energieerzeugung, scheint ehrgeizig. Leonard hat ihn zu seinem Partner erklärt, bestimmt nicht ohne Eigennutz. Aber auch Leonard hat anderen etwas zu bieten. Er fährt uns zu einer Süßwasserquelle, die er angezapft hat und mit deren Wasser er verschiedene Haushalte versorgt. Er betreibt auch ein paar kleine Salinenpfannen, die nur wenige Meter neben dieser Quelle vom Meerwasser versorgt werden (jetzt sind sie leer). Dann düsen wir ein Stück den menschenleeren Strand entlang und besuchen Verona und Casper. Zunächst glaube ich, dass sie eine Farm betreiben, denn gleich am Eingang sind mit geradezu romantischer Akkuratesse Gemüsebeete angelegt, werden junge Bäume kultiviert. Aber der Eindruck täuscht, denn auch die etwas geschwätzige Verona und der stille, wohl ein bisschen versoffene Casper wollen eine Lodge aufbauen. Vieles ist noch Improvisation, muss es wohl auch sein, denn die beiden sind zusammen mit ihrer Tochter erst seit einem halben Jahr hier, sie wollen demnächst sogar wieder umziehen, Nomaden. In gewisser Weise auch Flüchtlinge. Davongelaufen sind sie vor dem gewalttätigen Alltag der südafrikanischen Städte, in diesem Fall Durbans, wo Casper als Polizist gearbeitet hat, Verona ebenfalls, sie war Verkehrspolizistin. Sie reden ihre Zukunft in Mosambik mit vielen in-brünstigen Worten herbei. Ein „Braai“ wird zubereitet, Lieblingsbeschäftigung der Südafrikaner, Fleisch, Geflügel und Würste werden auf den Grill gelegt, brutzeln – und verschwinden wie am Abend zuvor nach einer Weile sang- und klanglos in der Küche. Als ich mich danach erkundige, erklärt Verona (wiederum wortreich), dass man nach ausreichendem Biergenuss sicher irgendwann das Bedürfnis habe zu essen und sich dann bedienen kön-ne. Aber sie traut wohl ihrer Begründung nicht ganz und stellt mir kurz darauf ein Tablett auf den Schoß mit Huhn und etwas Drumherum und letzten Endes bin ich der Einzige, der an diesem Nachmittag etwas zu essen bekommt. Verona schenkt uns auch noch eine Flasche mit frisch gepresstem Kokosöl und lässt es sich, einmal über Küche und Kochen ins Schwadronieren geraten, nicht ausreden uns noch ein Glas mit Mango-Chutney zu schenken: Kriegt ihr nur bei dem und dem Inder und ich hab ja noch ein zweites Glas. Damit werden unsere Rucksäcke zwei Kilo mehr wiegen, macht aber nichts. Ich erkundige mich, was es hier für Tiere gibt, frage Casper. Er formt mit seinen Händen einen Kreis und sagt: Ungefähr so dicke Pythonschlangen, aber die seien bloß an jungen Ziegen und dergleichen in-teressiert. Und Paviane, zu Hunderten. Die tummelten sich da drüben in dem Wäldchen, das sich über den Hügel breitet. Sie seien allerdings sehr scheu. Der Tag endet – trunken. Erinnern kann ich mich jetzt, da ich diese Zeilen schreibe, nur noch daran, dass wir – war’s nicht Nils, der auch irgendwann kam und dann am Steuer saß? – durch den Urwald gebrettert sind, die Stimmung ziemlich ausgelassen war, dass wir zum Beispiel an einem Fußballplatz vorbeikamen, der keiner mehr ist, weil irgendein Verwal-tungsorgan ein Häuschen genau auf den Mittelkreis gebaut hat, dass wir, nachdem wir wieder in unserem „Chidawo“ angelangt waren, mit Leonard sicherheitshalber noch ein Bier tranken und dass dabei sein Hund Jack mit Nils’ Hund Vasco kurzzeitig in Streit geriet, dabei meine Bierdose umgestoßen wurde und ich inzwischen pappsatt von diesem Tag (nicht von Veronas Braai) in meinen Schlafsack kroch bzw. kriechen wollte, dass das aber nicht so leicht war, weil die Milchstraße allein zu wenig Licht spendet und die Batterie der Taschenlampe so gut wie aufgebraucht, eine Kerze längst vom Wind ausgeblasen war und das Zelt ganz flach und schmal und so gut wie unauffindbar ist, auch wenn man daneben steht, egal, ich hab’s irgend-wann geschafft und wache am Morgen wieder mit dem Konzert der Vögel auf. Sie sind der Grund, warum ich das Aufstehen gerne ein wenig hinauszögere (es ist ja gerade mal halb sechs in der Frühe). Leonard und Dennis hupen schon bald wieder, wir können mitfahren in die Stadt. Dieses Mal kriegen wir sogar einen Kaffee, einen schlechten wie immer zum Einrühren, aber wir brauchen ihn jetzt. Kaum dass wir dann wieder zurück sind, eilen wir hinunter zu dem gelben Sandstrand, der endlos zu sein scheint und an dem, abgesehen von einer Anglerin und eben Karin und mir, weit und breit kein Mensch zu sehen ist. Karin ist auf Muschelsuche, ich bringe ein bisschen was zu Papier, ein kleiner Krebs beäugt mich dabei, verschwindet in seiner Behausung, kommt immer wieder hervor, ich bin ein Ungeheuer. Um die Mittagszeit tauchen am Horizont prustende Wale auf und etwas später kommt Leonard wieder angebraust und sagt, dass zwei Töpfe mit Fleisch bereit stünden – er ist auch ein leidenschaftlicher Koch. Wir lassen uns noch Zeit, ehe wir die Düne wieder zu ihm hinaufsteigen. Einige Leute aus der Bauverwaltung sind dort eingetroffen, vielleicht der Grund, warum er dieses Essen zubereitet hat, denn er will sie, erzählt er uns, davon überzeugen, dass es im Gegensatz zu gängigen Richtlinien besser ist anstatt mit Beton mit den vorhandenen Naturmaterialien zu bauen, er will immer das Gute, das Verträgliche, aber dann versinkt auch dieser Tag für ihn irgendwann im Qualm einer Bierdosenpfeife und dem begeisterten Bericht über einen Erweckungsprediger. Leonard, ein Gottsucher, ab morgen wird er drei Tage fasten, sagt er. Dennis hat sich schon bald nach Einbruch der Dunkelheit schlafen gelegt: Er wird in aller Frühe zurück nach Tete fahren, ein Weg von ungefähr fünfzehnhundert Kilometern auf zum Teil abenteuerlich schlechten Straßen. Wir werden »Praia e Sol« ebenfalls verlassen und uns in nördlicher Richtung weiter die Küste entlang bewegen.

--- Huckepack --- Am Ausgang von Quissico, dort wo man den Panoramablick über die Lagune hat (und einige Biere mit Leonard geflossen sind), stehen und warten wir auf eine Chapa, einen Minibus, der uns bis zur Abzweigung nach Inhambane bringt. Zunächst vergeblich, aber das Problem löst sich auf andere Weise, ein, wiederum weißer, Südafrikaner mit einem Geländewagen hält an und wir haben einen komfortablen Lift. Die Strecke ist vergleichsweise kurz und von besagtem Abzweig ist es nochmals ein kleines Stück bis Inhambane, einer Stadt am Meer. Auf dem Markt in einer einfachen Garküche ist Gelegenheit etwas zu essen, Reis mit ein wenig Huhn. Die Wirtin setzt sich zu uns, erzählt von ihrem Sohn, der nach Brasilien gegangen ist, von der Armut hierzulande, sie gibt uns auch eine Erd-nusssoße zu kosten, die die Leute in dieser Gegend zu ihrem Maisbrei kochen. Ein körperbehinderter Mann kommt auf seinen Knien angerutscht, sagt, er habe drei Meticais, sieben Cent etwa, und sie möge ihm dafür eine Kleinigkeit zu essen geben. Das tut sie und wir können mit unseren Reisportionen nachhelfen. Inhambane ist aufgeräumt und verschlafen. Der Hafen, weitgehend bedeutungslos geworden, hat keinerlei Ausstrahlung auf die Stadt. Dennis ist der Betreiber der »Pensão Pachiça«, in der wir ein Doppelzimmer nehmen. Er setzt sich am Abend zu uns an den Tisch, erzählt Dinge aus seinem Leben, berichtet von (vielen negativen) Erfahrungen in seiner Heimat Südafrika, spendiert Kaffee und Kuchen. Zum Abschluss des Tages passiert noch etwas Seltsames, etwas, das hätte auf gemeine Weise schief gehen können. Ich hatte nämlich zuvor in der Stadt eine Flasche Rot-wein gekauft, wir wollten uns damit vor dem Zubettgehen auf den Balkon des Hotels setzen und ein wenig auf das vom Mond beschienene Meer blik-ken, dessen Ufer gleich auf der anderen Seite der Straße liegt. Die Tasche, in der ich den Wein trug, war zuvor etwas zu hart aufgesetzt worden und ich hatte ein bestimmtes Geräusch vernommen, doch es schien alles heil geblieben zu sein. Jetzt hingegen, nachdem ich die Flasche herausgenommen habe und auf einen Tisch stelle, zeigt sich, dass sie einen Sprung hat. Im selben Moment platzt sie dann auf und der Wein ergießt sich über den Tisch. Nur ein paar Spritzer, die schnell wieder entfernt sind, kommen an Hose und Jacke. Inhambane liegt auf einer Landzunge. Um wieder zur großen Nord-Süd-Route zurückzugelangen, nimmt man am einfachsten eine Fähre nach Maxixe. Oder eine Dhau. Als wir am Morgen zur Anlegestelle kommen, ist gerade eins dieser Segelboote losgefahren. Ein Mann läuft ihm ins Wasser stapfend hinterher und ruft es zurück. Die Dhau kehrt um, kann im Augen-blick aber nicht am Ufer festmachen, weil Ebbe ist. Man muss zu ihr hin waten, am Bootsrand reicht einem das Wasser dann bis zur Hüfte. Der Steuermann bietet an, mich die ungefähr zwanzig Meter zu tragen. Etwas er-staunt lehne ich ab. Als ich dann aber sehe, dass auch andere sich auf den Rücken nehmen lassen, überlege ich’s mir rasch und klammere ich mich nun auch an die starke Brust des Steuermanns. Er buckelt mich (am Ende keuchend) zum Boot, danach ist Karin dran. Sie bringt die Marktfrauen, die schon drin sitzen, mit einem Döschen Seifenblasen in Stimmung. Es wird palavert, gelacht und gepustet, Fotos werden geknipst, und als wir nach gut einer halben Stunde Fahrt das andere Ufer erreichen, sind es für den Steu-ermann und mich noch einmal ein paar Huckepack-Meter. Die Chapa nach Jofane, dem Abzweig nach Inhassoro, ist voll gestopft mit Leuten und die Rucksäcke liegen für einige Zeit wie dicke Wackersteine auf unserem Schoß. Während der Fahrt ein unerwarteter Regenguss, so heftig, dass man bloß noch ein paar Schritte weit sehen kann. Ebenso plötzlich hört er nach zwei, drei Minuten wieder auf und die Sonne strahlt wie zuvor. War die Stimmung im Bus bis jetzt eher schläfrig, wird nun gelacht und geredet, wir werden interviewt. Wie lange fliegt man von euch zu Hause hierher? Zwölf Stunden. Zwölf Stunden?! Viele Kommentare folgen. Baobabs bestimmen das Bild, die Autos beschreiben slalomartige Kurven um die nicht enden wollenden Schlaglöcher. Inhassoro erreichen wir schließlich noch vor Ein-bruch der Dunkelheit. Anlaufpunkt ist der Campingplatz des Hotels »Seta«. Obwohl in geringer Entfernung zum Strand ist er atmosphärisch und landschaftlich so ziemlich das Gegenteil zu Leonards Camp. Zwar ist alles vor-handen, was man braucht, ansonsten aber ist es ein schmuckloser Ort. Als wir endlich beginnen können unser Zelt aufzuschlagen, ist vom Tageslicht kaum noch ein Schimmer vorhanden. Karins Taschenlampe ist ebenfalls am Ende und so beginnt ein Blindekuh-Spiel mit Heringen und Zeltschnüren. Aber nicht lange, denn neben uns taucht plötzlich jemand auf, der eine gut funktionierende Lampe hat, und sie spendet ausreichend Licht. Tobias ist nicht einmal neunzehn, kommt aus Berlin und kampiert ein paar Meter weiter in einem wenig größeren Zelt als dem unsrigen mit seiner Mutter. Wir verabreden uns zu einem Bier im Restaurant des Hotels. Fisch braten sie dort auch und Karin, die zu ihrem großen Leidwesen noch keinen guten zu essen bekam, hat wieder Hoffnung. Tatsächlich ist er dann saftig, reichlich auch. Wir lernen Annegret und ihren Sohn jetzt näher kennen. Sie verbinden mit ihrer Mosambikreise ein besonderes Anliegen. In der Nähe von Vilanculos, südlich von Inhassoro, haben sie einige Tage in einem Dorf verbracht, wo Annegrets Patenkind, eine dreizehnjährige Kriegswaise, bei ihren Großeltern lebt. Annegret war schon einmal in Mosambik gewesen, alte Kontakte aus DDR-Tagen pflegend, das ist Jahre her, und damals ist sie auf das Mädchen aufmerksam geworden. Nun dieser zweite Besuch, bei dem sie und Tobias hautnah den Dorfalltag miterleben. „Hautnah“ ist auch im wörtlichen Sinn zu verstehen, denn vor allem Annegret ist übersät mit den Stichen von Sandflöhen, sie haben sich bei ihr zu centgroßen und nur langsam heilenden Wunden entwickelt. Das von mir ins Spiel gebrachte Bilderbuchafrika à la Quissico stößt bei beiden auf wenig Resonanz, sie haben das ärmliche und beengende Leben der Dorfbewohner aus nächster Nähe kennen gelernt. Gleichwohl, sie bleiben unverdrossen an Land und Leuten interessiert, haben sich allerhand Worte in der Tswa-Sprache aufgeschrieben und wetteifern sogar ein wenig miteinander sie richtig wiederzugeben. Was Karin und ich oft nur oberflächlich streifen und dann nach kleinen Abenteu-ern abklopfen, hat bei Annegret und Tobias ein solideres Fundament, ist nachhaltiger. Inhassoro – das stellen wir auf einem Spaziergang am nächsten Tag fest – ist von geringem Interesse. Der Markt ist zwar um einiges größer als der in Quissico, aber außerhalb davon ist nicht mehr viel. Der Ort versucht sich offenbar durch seinen weißen Strand schadlos zu halten, aber so viele Touristen sind nicht da. Wenn man sich nur ein paar Minuten am Strand von unserem Hotel in irgendeine Richtung entfernt, trifft man allenfalls noch ein paar Fischer oder ist schon für sich allein. Wir haben an diesem Tag ein paar Sachen zu waschen, Karin setzt sich danach an den Strand und näht ihre gestern am Klappsitz einer klapprigen Chapa aufgerissenen Hose. Eine Frau gesellt sich zu ihr. Ich sehe aus der Ferne, dass sie sich lange miteinander unterhalten. Später kommen sie auf mich zu, Karin und Raïma und deren Freund, der jetzt auch mit dabei ist, João. Er ist ein einnehmender und unterhaltsamer Mann, hat Europa schon des Öfteren besucht, bekleidet ein Amt für die Regierung. Mit Raïma, einer reiferen Schönheit, ist er nicht verheiratet, vielleicht ist sie seine Sekretärin (Karins Mutmaßung). Am Abend laden sie uns an die Bar ein. João spricht ein selbst für mich gut verständliches Portugiesisch, ich wünschte nur, ich könnte ihm in dieser Sprache besser antworten, zumal er den Wunsch äußert sich mit mir über allerhand anregende Themen unterhalten zu wollen. Seine schwarze Hautfarbe deutet ganz und gar nicht darauf hin, dass er, wie er gerne be-tont, mit dem dänischen Königshaus verwandt ist. Raïma ist zum Teil indischer Abstammung, ihr Gesicht erinnert mich entfernt an das von Pelé. Wenn wir nach Beira kommen sollten, ihrem Wohnsitz, werden wir mit den beiden sicher noch einmal Kontakt aufnehmen.

--- Ranger und Rambo --- Annegret und Tobias sind noch einen Tag län-ger geblieben als ursprünglich geplant, nun brechen wir gemeinsam mit ih-nen auf. Ein Pickup bringt uns zur Fernstraße zurück, dann kurzzeitiges Warten auf den Überlandbus. Aber ehe dieser vorbeikommt, haben wir bereits einen Deal mit dem Fahrer eines größeren Lkws gemacht, die allemal bessere Lösung. Bei einem ersten Halt werden Mehl- und Salzsäcke aufgeladen. Auf diesen sitzen wir dann und fahren durch eine immer dünner be-siedelte Landschaft, auch der Baumwuchs wird spärlicher. Auffällig die zahlreichen Rauchsäulen, die aus dem Busch aufsteigen, manchmal frisst sich das Feuer direkt am Straßenrand entlang. Brandrodungen, sagt Karin, seien eine Form der Bodendüngung. Ein weiterer kurzer Aufenthalt, als dann die Säcke wieder abgeladen werden. Ein Mann spricht mich auf Deutsch an. Er hat zwei kleine Kinder bei sich und erzählt, dass er als Dolmetscher in der damaligen DDR gearbeitet habe, nennt die Namen einiger Städte. Eins dieser beiden Kinder habe vor ein paar Monaten seine Mutter verloren, sie sei an Aids gestorben. In Deutschland, sagt er, leben zwei weitere Kinder von ihm, den Kontakt zu ihnen habe er jedoch „verloren“. Und als ob er ihn im selben Moment wiederherstellen wollte, meint er: Wir rufen da jetzt mal an, holt sein Handy hervor, wählt eine lange Nummer und reicht Karin das Telefon: Sprich du mit ihr! Karin, ein wenig irritiert, sagt mehrfach Hallo, doch sie hört nicht einmal ein Freizeichen, die Leitung ist tot. Hast du gesehen, ruft der Mann, hast du gesehen: Deutschland! Er heißt Jerusalema, über dem Eingang seines Hauses steht „Deus não dorme“, Gott schläft nicht. Er redet laut und viel, fordert uns auf hier im Land zu bleiben und „mitzuhelfen“, erzählt, dass er ein paar Leute beschäftigt, auch was sie im Monat verdienen, 400 Meticais, das sind weniger als zwölf Euro. Als wir wieder weiterfahren, reißt mir der Wind die Brille von der Nase, das Fahrerhaus ist weit, ans Anhalten und Zürücklaufen nicht zu denken. Die Sonne geht unter, wir haben die Abzweigung nach Chimoio erreicht. Dort verabschieden wir uns von Annegret und Tobias, sie fahren weiter nach Westen, nach Beira. Mit einer Chapa in Chimoio angekommen, ist es bereits halb acht, nachtschlafende Zeit. Zwei Jungen führen uns durch die Dunkelheit zum Hotel »Pink Papaya« und nach etwa zehn Minuten Weg erreichen wir eine Querstraße, die durch eine große Schranke abgesperrt ist. Genau hinter dieser ist der Eingang. Die Schranke hat nur damit zu tun, dass in der Straße auch der Provinzgouverneur residiert und so sind wir wohl am bestbewachten Ort der Stadt angekommen. Ein älterer Nachtwächter begrüßt uns am Tor und ein junger Mann, der sich um die Gäste kümmert – die Besitzer sind längst schon zu Bett gegangen –, fragt, ob es uns etwas ausmachen würde, in einem Wohnwagen zu schlafen. Die Plastikblumen auf dem aus-geklappten Tisch, ein paar Tomaten, ein trockenes Brötchen, portugiesische Oliven, die wir in einem Supermarkt in Inhassoro entdeckt hatten, und eine Flasche südafrikanischer Rotwein machen den Rest des Tages zu einem heimeligen Vergnügen. Der Nachtwächter hat schlechte Augen, er heißt Mr. Rambo. Sie müsse ihm ständig hinterherlaufen, um festzustellen, ob er noch zurechtkomme, sagt Anja. Anja ist zusammen mit Friedo die Besitzerin des »Pink Papaya«, denen wir nun am Morgen begegnen. Beide sind Deutsche, seit einem halben Jahr haben sie den Laden von einer rosaverrückten Eng-länderin übernommen, daher der Name des Hotels. Anja und Friedo sagen, sie könnten die Farbe nicht ausstehen, aber die Unterkunft sei lange schon unter diesem Namen eingeführt und – na ja. Das Haus ist im portugiesischen Stil gebaut, hat einen Garten (und eben einen Wohnwagen mit Aufklebern aus dem alten Rhodesien). Sehr hilfreich ist ein Buch, das für die Gäste ausliegt, und in dem interessante Mitteilungen weitergeben werden. Die letzten beiden Eintragungen beziehen sich auf ein kleines Camp in den Bergen. Die Ranger begeben sich dort mit Besuchern durch den Urwald auf die Fährte von Elefanten. Zwar wird auch beschrieben, wie man hinkommt, als wir dann aber – einem spontanen Entschluss folgend – an diesem Morgen in Sussundenge angelangt sind, einer Zwischenstation auf dem Weg zu diesem Camp, hat keiner etwas gehört vom »Acampamento de Moribane«, nicht einmal die hiesige Polizei. Letzten Endes hilft uns nur die Information, dass man es mittels eines Lkws erreicht, dessen Ladefläche hoffnungslos mit Menschen voll gestopft sei. So einer steht gerade da und dann glaubt jemand doch etwas zu wissen und wir steigen hinauf ins Getümmel. Die einzige Chance, die man jetzt hat, überhaupt nur den Boden mit den Fußsohlen zu berühren, ist das eigene Körpergewicht. Damit verdrängt man (im günstigen Fall) andere Körper bzw. scheitert, weil andere Körper schwerer oder breiter sind. Aber ein bisschen Geduld und Schwerkraft reichen schließlich aus und die nächsten eineinhalb Stunden stehe ich wenigstens auf dem rechten Bein, das linke wird von einem am Boden liegenden Sack ins Knie gezwungen. Meine Aufgabe ist es vor allem, die Rucksäcke festzuhalten, die auf der hinten geöffneten Ladeklappe liegen und ständig abzurutschen drohen. Die Straße ist dabei mein natürlicher Feind, eine löchrige Achterbahnpiste, der rote Staub hüllt mich völlig ein. Einmal überqueren wir eine Brücke, die kaum breiter ist als das Fahrzeug und wohl noch nie ein Geländer besaß. Ich zähle nicht nach, wie viele Leute sich hier oben zusammenquetschen und mit wie vielen kleinen und gemeinen Tricks sie ihr bisschen Platz verteidigen, aber als wir dann angekommen sind, verändert sich alles schlagartig. Nur wenige Meter von der Straße entfernt liegen unter schattigen Bäumen Hütten aus Lehmziegel und Stroh. Die Ranger empfangen uns freundlich und erst jetzt bemerken wir einen Mann, der ebenfalls hier ausgestiegen und in offizieller Mission hergekommen ist, einen jungen Forstbeamten. Er hat einen englischen Namen, den er aber portugiesisch schreibt: Dúglasse. Er spricht auch ein leidliches Englisch und kann, wenn nötig, dolmetschen. Zunächst besteht das ganze Angebot, das uns die Männer hier machen, aus der Wahl, entweder in einem Zelt oder einer Hütte zu schlafen. Wir entscheiden uns für keins von beiden, sondern wollen unter freiem Himmel kampieren. Karin spannt eine Leine, hängt ein buntes Tuch auf und schräg daneben breiten wir unsere Schlafsäcke aus. Wir werden auch bekocht, ler-nen zum Beispiel massa con tsunge kennen, jenen klumpenden Maisbrei mit einem grünen Gemüse, tsunge. Und wir haben noch Veronas Mango-Chutney in der Tasche (ein ganz ausgezeichnetes), das für Schärfe und Aroma sorgt. Dem Koch schenken wir das frische Kokosöl. Er gibt uns etwas Nipa zu kosten, ein lokales Braugetränk, zehn Tage vergoren, weißlich-grau, vom Geschmack aber frisch und grün. Wir revanchieren uns, indem wir jedem der Leute eine Flasche Export-Bier spendieren, das wir von einem in der Nähe gelegenen Marktstand besorgen. Elektrizität gibt es keine, daher ist das Bier so warm wie dieser Tag. Als er dann zu Ende gegangen ist, liegen wir auf unseren Schlafsäcken und blicken in die Wipfel der Bäu-me, durch die wie durch eine fadenscheinige Decke der klare Sternenhimmel blitzt. Die Elefantenwanderung mit Gerald, der sich eine Kalaschnikoff umgehängt hat, und Mario, dem Fährtensucher, beginnt so gegen acht am Morgen und führt uns erst einmal eine knappe Stunde die zuvor erlebte Autopiste entlang. Dann ein Aussichtspunkt, wo man einen Panoramablick auf das Moribane-Gebirge hat, es gehört noch zum Chimanimani-Gebirge, das zum größeren Teil auf der anderen Seite der Grenze in Simbabwe liegt. Auf einer Anhöhe gegenüber sieht man ein umfriedetes Areal mit zwei Hütten, das Gerald und Mario, kaum dass wir uns niedergelassen haben, zum Anlass nehmen rhythmisch in die Hände zu klatschen. Es ist eine Hul-digung für diesen, sie sagen, heiligen Ort, den nur ausgewählte Personen ei-nes Stammes betreten dürfen. Wo sind nun die Elefanten? Wir biegen in ei-nen schmaleren Waldweg ein, dort entdeckt man erste tiefe Spuren und einen Tag alten Elefantendung. Weitere Spuren sind vorhanden: trockenes, niedergetretenes Gras. Schließlich erreichen wir einen kleinen Fluss, der von Pflanzen überwuchert ist. Daraus haben sie gestern Abend getrunken, sagt Mario. Der abgetrennte Kopf einer Gazelle liegt auf einer Astgabel, daneben hängt ein Fell. Mit den Elefanten hat das nichts zu tun, es ist eine zu-rückgelassene Jagdtrophäe. Weiter geht es durchs dornige Gestrüpp, aber da haben wir bereits den Rückweg eingeschlagen. Elefanten bekommen wir keine zu Gesicht, was wohl auch daran liegt, dass Mario an diesem Tag jeglicher Ehrgeiz fehlt. Gerald sagt, Mario habe in der vergangenen Nacht nicht geschlafen und so sorgen zwei völlig sinnlose Pausen dafür, dass er ein wenig davon nachholen kann. Bleiben außer vielen Schmetterlingen nur zwei gesichtete Nashornvögel als Ausbeute dieser Wanderung. Dúglasse fragt uns später, was denn an der Organisation des Reservats (dessen Grenzen of-fenbar gar nicht genau abgesteckt sind) verbesserungswürdig sei, man stünde ja noch ganz am Anfang. Karin veranlasst das zu einem halbstündigen Vortrag über die Installation eines Bioklos. Nun hat er immerhin mal was davon gehört. An diesem Morgen gab es ein Maniokfrühstück, zum abend-lichen Massa gibt es Trockenfisch und immer isst man mit den Händen. Anfänglich benutzen wir noch die bei Air France geklaute Gabel und den Kaf-feelöffel, aber das gibt sich bald. Der kleine Marktflecken, wo wir uns am Abend wieder mit warmem Bier versorgen, ist ärmlich und laut. An diesem Wochenende fließt reichlich Palmwein aus gelben Kanistern und auch Mario tanzt fröhlich dort herum. Er hat ein bisschen Geld als Fährtensucher verdient, unseres. Der folgende Sonntagmorgen ist für die Weiterreise bestimmt. So gegen neun setzen wir uns an die Straße, um ein Fahrzeug anzuhalten. Der Rest der Geschichte ist dann rasch erzählt, denn an diesem Tag fährt in unsere, die Sussundenge-Chimoio-Richtung nur ein einziges Auto, ein (leerer) Krankentransport, und der hält nicht an. Um vier spendieren wir uns ein Bier, um fünf kehren wir die zwanzig Schritte ins Camp zurück. Dann sitzen wir wieder am Lagerfeuer und essen Massa con Tsunge. Für die Nacht schlagen wir das Innenzelt auf. Der Grund ist, dass wir am heutigen Morgen zwischen unseren Schlafsäcken einen Skorpion ausfindig gemacht haben. Es ist einer von diesen kleinen mit kurzen Beinen und langem Stachel. Ich habe ihn mit einem Stein erledigt, nicht gern, aber alles andere hätte uns in dieser Nacht wohl Sorgen bereitet. Es fängt dann, bevor die Sonne aufgeht, kurz zu regnen an und wir müssen die Außenhaut des Zeltes überstreifen. Für diese dritte Nacht im Camp will man uns nichts berechnen, auch nicht für all die Mahlzeiten, die wir hatten.