Krieger im roten Staub



Montag, 2. Juli

Am Morgen erreichen wir die Zollstation. Man wird nicht eigens angesprochen, sondern betritt einfach ein kleines Haus, um sich seinen Ausreisestempel zu holen. Als Andy wieder herauskommt, steckt er mir die 400 FF zu, die ich nun als meine vorzeige. Es klappt reibungslos.

Dann 30 Kilometer Niemandsland bis zu Kontrollstelle von Niger. Gleich als wir vom Lkw hinabsteigen, werden die Pässe einkassiert. Die nächsten fünf Stunden vergehen mit Warten. Wir sind nicht die Einzigen, die sich im Schatten einer Baumkrone zusammendrängen, und unser Chauffeur spendiert uns in einer Art Sultanslaune jedem eine Büchse warmes Bier, ein erster Hinweis auf das geografische Ende des Ramadan. Der eigentliche Akt der Passkontrolle dauert dann weniger als fünf Minuten.

Die Wüste ist im Folgenden flach und vollkommen baumlos. Nur roter Lateritsand. Der Vergleich mit dem Meer drängt sich stets aufs Neue auf: Von Horizont zu Horizont erstreckt sich das flache Land, kein Strauch, kein Felsbrocken und ich höre im leichten Wind den Sand rauschen.

Dass wir während der gesamten Fahrt nur zwei- oder dreimal stecken bleiben, ist der Kunst des Chauffeurs zu danken, der das große Gefährt selbst bei Nacht sicher über die Piste steuert. Passiert es dennoch, sind alle in Bewegung, werden die an der Seite befestigten Sandleitern heruntergeholt, wird geschaufelt und für den Chauffeur zwischenzeitlich eine Matte ausgebreitet, damit dieser die Unterbrechung für einen kurzen Schlaf nutzen kann. Nach kurzer Zeit sind dann wieder alle an Bord.

Die Hitze macht einem zu schaffen. Der Fahrtwind kann sie kaum abmildern und kühle Brisen sind Fehlanzeige. Ich halte, so gut es geht, sämtliche Körperteile zum Schutz vor der Sonne bedeckt. Der zwei Meter lange Schesch, den ich mir um den Kopf gewickelt habe, könnte – siehe oben – gut und gerne zwei Meter länger sein.

In Gall ist die zweite Ortschaft in Niger, die wir passieren. Wie zuvor schon in Tegguidda und wie später praktisch überall im Land werden am Ein- und Ausgang einer Stadt, eines größeren Ortes die Papiere kontrolliert, eine Maßnahme, die mit der unruhigen politischen Lage erklärt wird. Oft werden dabei weitere Stempel in die Pässe gedrückt.

Ab In Gall gibt es wieder eine asphaltierte Straße und da der Patron seinen Lastwagen hier waschen lässt, sehe ich mich im Dorf ein wenig um. Der Unterschied zu den algerischen Wüstenorten lässt sich am besten am Aussehen der Frauen ablesen. Sie tragen bunte, die (meist üppigen) Körperformen betonende Kleider. Blusen, Wickelröcke und Kopftücher haben durchweg drei verschiedene Farben und Muster. Die meisten tragen auch etwas auf dem Kopf, Eimer, Schüsseln, Schalen. Und alle grüßen sie und lächeln. Verschleiert sind nur die Tuaregmänner, oft tragen sie ein Schwert.

Die Lkw-Leute betreiben lebhaften Handel mit den Einheimischen und halten auf diese Weise den Warenverkehr aufrecht. Wir machen in der Nähe eines Nomadendorfs Halt. Konserven und Waschpulver werden in die Zelte getragen, Frauen stampfen Mehl in hölzernen Mörsertöpfen. Eine Frau fällt mir auf, die sich mit ihrem Kleinsten, das wohl gerade laufen gelernt hat, ein Stück weit entfernt. Sie geht in die Hocke, um das Kleine zu veranlassen es ihr gleichzutun und sein Geschäft zu erledigen. Hinterher schaufelt die Mutter etwas Sand auf das Häufchen. Mit Sand wird auch der Kinderpopo gesäubert. Die kleine Szene hat etwas Anheimelndes und ich stellte mir eine Kindheit in der Wüste wie das Leben in einem riesigen Buddelkasten vor, dazu nichts als Weite.

Es dämmert bereits, als wir In Gall verlassen. Die befestigte Straße lässt wieder erste Gedanken an frische Kleidung aufkommen, denn mittlerweile haben wir von Kopf bis Fuß die Farbe des roten Sandes angenommen, aus allen Poren schwitzen wir ihn heraus.

Der Sand verändert seine Farbe nicht, auch wenn die Vegetation allmählich zunimmt. Die einsetzende Luftfeuchtigkeit macht den Klimawechsel sinnfällig. Wir halten uns bereits in der nördlichen Sahelzone auf.

Die Nacht davor hatten wir zusammen mit den Besatzungen anderer Lkws irgendwo in der Landschaft campiert, jetzt fahren wir durch die Nacht. Einmal platzt ein Reifen, was aber keine größere Unterbrechung verursacht. Ein andermal wird eine Antilope aufgeladen, die wir wohl mit Absicht überfahren haben. Eine gängige Praxis: Die Antilope schlägt, wenn sie verfolgt wird, keine Haken, läuft immer geradeaus. Bis ihr die Puste ausgeht und der Fahrer ihr den Rest geben kann. Man tauscht sie dann gegen andere Lebensmittel ein.

 

… Als ich morgens mein Gesicht waschen will – ich bin noch ein Wüstenneuling – schimpft der Hüne Dogo mich aus. Waschen mit Wasser ist ein unstatthafter Luxus, man nimmt dazu, wenn überhaupt, den Sand (auch wenn er hier fast wie rotes Farbpulver ist).

Auf dem Weg liegt eine Menge Autowracks herum. Manche davon sind mit einem Datum versehen oder einer Aufschrift von der Art: Dann und dann endete unsere Saharaexpedition. Auch Tierkadaver und -skelette säumen die Piste, oft ist nur noch das Gehörn verendeten oder geschlachteten Viehs übrig.

Und immer wieder einsame Kamelreiter, meist hellblau gekleidet mit einem sich auftürmenden Schesch um den Kopf. Sie heben die Hand zum Gruß und sinken dann wieder in die Gleichmut des Wüstentrotts zurück.

Um die Mittagszeit erreichen wir Tahoua. Was für ein glücklicher Umstand – im Nachhinein betrachtet –, dass wir nicht in der Enge eines Pkws unterwegs gewesen sind, sondern auf diesem Wüstenschiff im heißen Wind über dem flirrenden Sand.

Wir begeben uns auf die Suche nach einem Hotel, brütende Hitze. Der Chauffeur wird selbst zwei Tage in der Stadt bleiben und er nimmt uns mit zu dem so genannten Campingplatz, der in Wirklichkeit ein (nicht einmal ganz billiges) Hotel ist. Und ein Puff. Unser Zimmer ist voll Ungeziefer, Spinnen, Kakerlaken, das ganze Programm. Der Ventilator mildert die Leiden an der stickigen Luft ein wenig, es gibt sogar Dusche und Waschbecken, auch wenn das Wasser nur bis zum frühen Nachmittag läuft.

Wir sind viel zu müde, um uns ausgiebig zu säubern und werfen uns kraftlos aufs Bett. In der Mitte hängt es durch und könnte die Illusion nähren, man läge in einer Hängematte. Trotzdem ist es angenehmer als die Landschaft der Dattelsäcke, auf denen wir uns auf dem Lkw ausgebreitet hatten.

Dann aber doch die große Säuberung. Erst des Körpers, dann der Klamotten. Aber der Staub ist hartnäckig, ein gewisser Rotton lässt sich nicht mehr ganz entfernen.

Mein Zimmergenosse Andy hat Durchfall. Schon während der Fahrt auf dem Lastwagen hat er akrobatische Übungen machen müssen, um seinen Mageninhalt loszuwerden. Andy hängt schlapp herum und muss Acht geben, dass er nicht zu viel Gewicht verliert.

Der Abend ist lau, hat etwas Erholsames und vergeht überwiegend mit Tagebuchschreiben.

 

… Ein kahler Baum mit lauter Eidechsen von der unterschiedlichsten Größe: erdfarben auf dem Rücken, gelb und rötlich am Bauch. Alle sitzen sie in ihrer Bewegung erstarrt, als warteten sie auf ein geheimes Zeichen.

Beim Frühstück (Toastbrot, Butter, Marmelade, Milchkaffee, 400 CFA) treffen wir Patrick, den wir einladen bei uns im Zimmer zu übernachten, nachdem er sonst wo im Hotel keinen Platz mehr gefunden hat. Er erzählt uns, was wir zuvor schon von zwei Franzosen bei der Einfahrt in die Stadt erfahren hatten, dass es nämlich Touristen untersagt sei Tahoua zu betreten. Nun haben wir aber den Polizeiposten ohne Schwierigkeiten passiert, und ich führe dies darauf zurück, dass wir nicht mit dem eigenen Fahrzeug unterwegs sind. Der Grund für das Verbot ist wohl rein politischer Art. Aber was weiß ich schon Genaueres von der Sattelfestigkeit der Regierung in Niger?

Patrick hat davon gehört, dass in dem 30 Kilometer entfernten Ort Bamou ein Markt stattfinden würde. Wir beide ziehen nach dort los, Andy fühlt sich an diesem Tag zu elend. Wir finden ein taxi brousse. Der Weg führt durch bebaute Felder. Ziegen-, Rinder- und Kamelherden, am Himmel Adler, Geier und blau schillernde Vögel. Nach einer halben Stunde sind wir am Ziel.

Das Marktgeschehen zieht sich einen Hügel hinauf. Am oberen Ende stehen Ziegen, Esel und Kamele zum Verkauf, ein paar Schritte weiter nur steht die Schlachtbank. Das Schlachten von Ziegen ist Straßenalltag (wie ich bald noch feststellen werde). Wenn man ihnen die Kehle durchgeschnitten hat, sticht man in den Oberschenkel und bläst sie auf, um ihnen das Fell besser abziehen zu können. Die gehäuteten Tiere hängen hier auf dem Markt der Reihe nach an einer Stange, auch die riesige Haxe eines Kamels. Tomaten, Okraschoten, Maniok und anderes Gemüse werden verkauft, natürlich auch Gewürze, Getreide und Palmlaub zur Errichtung von Strohhütten.

Was diesen Ort so anziehend (ich muss mir das Wort märchenhaft verkneifen) macht, ist zuletzt das Pittoreske der Menschen. Tuareg und Boroboro bestimmen das Bild und kaum etwas – ein paar farbige Waschmittelkartons vielleicht – erinnert an das 20. Jahrhundert.

Wir merken, dass vier Boroboro-Jungen mit langen Schwertern uns unentwegt folgen. Obwohl wir sie mehrmals grüßen, bleibt ihre Haltung sehr reserviert.

Ein Gang durchs Dorf setzt das fast Unwirkliche der auf dem Markt gemachten Eindrücke fort, Lehmhäuser, alle in ihrer Form sich nach oben leicht verjüngender Quader. Wir sehen jungen Mädchen zu, die Erdnüsse zu Mehl stampfen, das zur Anreicherung von Fleischsoßen verwendet wird. Ein am Wegrand hockender Schmied formt eine Feldhacke, sein Gehilfe, der ihm gegenübersitzt, bedient den Blasebalg, um die Holzkohle am Glühen zu halten. Ein weiterer Schmied bohrt mit Hilfe eines heißen Stichels ein Loch durch einen Holzstiel.

Im Zentrum des Dorfes liegt ein 20 Meter tiefer Brunnen. Frauen und ein Brunnenwärter sind damit beschäftigt Wasser mit Ledereimern zu schöpfen. Ein Reiter sprengt heran. Er nimmt eine Probe aus einem der Eimer, dann erst lässt er sein Pferd davon trinken. Unweit sitzt ein Schneider vor einer – immerhin neuzeitlichen – Nähmaschine. Wir setzten uns zu ihm und sind bald von einer Kinderschar umringt. Und auch die jungen Boroboro-Krieger tauchen wieder auf. Patrick will Fotos von ihnen machen. Jetzt endlich werden sie gesprächiger, nennen uns sogar ihre Namen. Patricks können sie nicht aussprechen, den meinen umso besser, und sie wiederholen ihn ständig.

Nach vielen freundlichen Abschiedsworten fahren wir wieder auf einem offenen und überfüllten taxi brousse in unsere schäbige Betonunterkunft zurück.

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Autor: Remo Nemitz