Reisen in Ghana



LIATI WOTE

Wir waren für 4 Tage in LIATI WOTE, einem 1000 Einwohner großen Dorf in der Volta-Region, einige km bis nach TOGO, 5 stunden Autofahrt für uns.
Es hatte 3 Kirchen der verschiedensten Konfessionen, ein neues Gästehaus mit etwa 10 Betten, eine wunderschöne Umgebung mit einem kegeligen Berg, einem Wasserfall, Regenwald. Und keine einzige Plastiktüte lag rum!
Die Menschen lebten von dem, was ihre Felder im Regenwald hergaben, bauten den Dorftourismus aus - in erträglichem Umfang - , verkauften verschiedene Handwerksprodukte, bauten eine Austernpilzfarm auf.
Ich habe mich dort ausgesprochen wohl gefühlt, war weit weg von dem Menschengetümmel, dem Dreck, den Abgaswolken der Accra-Umgebung. War übrigens mal deutsches Kolonialgebiet.

Hier erlebten wir 4 Stunden lang heftigen Tropenregen, nachher war alles so aufgeweicht, dass ich nirgendwohin konnte, doch das war nicht so schlimm,
Ich bin im gehöft unserer Gastgeber geblieben und hatte genug an Leben und Treiben um mich rum: Kinder, Hühner, Ziegen, die Nachbarn, die Gemüse aus ihrem Garten auf dem Kopf nach Hause trugen, die Mutter, die immer wieder in ihrer winzigen Küchenhütte verschwand - da gab es eine Feuerstelle, zwei Schemel, ein kleines regal.
Eine wichtige Erkenntnis ist, dass der Mensch nur ganz wenige Dinge wirklich braucht.

Wir gingen Sonntags zum Gottesdienst in eine der Kirchen,eine reformierte, wo alles afrikanisch war: die Kleidung des Pastor, das Trommeln und Singen bei der Kollekte.
Wir waren jedoch ausgesprochen schnell fertig, in den anderen Kirchen dauerte der Gottesdienst einige Stunden länger.

Anschließend hatte ich eine Extra-Dorfführung von einem jungen Dorfbewohner, da ich am Vortag wegen der aufgeweichten Straße nicht teilnehmen konnte.
Er zeigte mir die Fetische, die Grenze, die einst Missionare und Christen von den übrigen Dorfbewohnern trennte, die Schulen, den Wald.
Am Wegrand standen einige Säcke mit Holzkohle: nein, der Besitzer brauche keine Angst zu haben, dass sie ihm geklaut würden.
Uns begegnete eine Gruppe Kinder, die sicher noch nie einen Rollstuhl gesehen hatten. Das kleinste von ihnen hielt sich fest die Augen zu.

Abends wurde wieder getrommelt und getanzt, da unsere Trommler mit waren und die vom Dorf noch dazu kamen.

Wenn getrommelt und getanzt wurde, war am deutlichsten die Lebensfreude zu spüren, die mir auch im Alltag die Menschen vemittelten, mit denen ich zu tun hatte in der heilen Welt von Kasapa, aber auch im Getümmel draußen.
Wollte ich deswegen immer nach Afrika? Ich habe viel von dieser Vitalität bekommen und mitgenommen.


SCHULE

In meiner ersten Woche waren wir im Nachbardorf NYANYANO -nicht zu verwechseln mit LIATI WOTE.
allergrößter Unterschied: das Nachbardorf war furchtbar schmutzig, überall lagen Plastitüten und anderer Dreck besonders in Hafennähe, wo ich jedoch mit dem Rollstuhl nicht hinkam.
NYANYANO ist ein Fischerdorf. Die Arbeit der Fischer in ihren offenen Kanus ist gefährlich, macht die Menschen aber auch stolz und unabhängig. Darum sind sie weniger bereit, sich einem Chief oder Regeln zu unterwerfen.

In NYANYANO haben wir eine Schule besucht, die jedoch auch für ghanaische Verhältnissse äußerst einfach war.
Die Klassenräume waren Bretterverschläge, der Boden unbefestigt - anderswo in Ghana habe ich richtige Schulbebäude gesehen -  die Lehrer trugen trotzdem Krawatte und feste Schuhe.
Die jüngsten Kinder - etwa 5 Jahre alt - gehen mir noch am meisten nach: sie saßen dichtgedrängt auf kleinen Bänken, keinen Tisch vor sich, nichts zum Schreiben, Malen, Spielen.
Zweimal habe ich an diesem Tag nach behindeten Kindern gefragt, aber nur völlig konfuse Antworten bekommen. Ich glaube, der Inhalt meiner Frage wurde nicht verstanden. Falls behinderte Kinder überleben, sind sie nicht in der Schule und ob ein lahmes Bein als behinderung angesehen wird, weiß ich nicht.
Hinkende Menschen habe ich öfter gesehen, mit selbstgefertigtem Stock. Ein Mädchen kam mit seinem Polio?-Bein nur sehr mühsam vorwärts, hätte sicher eine Schiene gebraucht.
An den Straßenkreuzungen, wo Scharen von Kindern und Jugendlichen sich auf die Autos stürzten, um Brot, Klopapier, Eis, Taschenlampen, Wasser, Zeitungen, Apfelsinen, Armbanduhren, Kekse .......... zu verkaufen, gab es auch behinderte Bettler. Einer fuhr in einem Rollstuhl, einer in einem selbstgebauten Karren, einer bewegte sich auf allen Vieren fort.


TWINS-FESTIVAL


Soll ich vom Twins-Festival erzählen: es geht um Zwillinge, die besonders gefeiert werden, weil es außergewöhnlich ist, wenn sie gesund auf die Welt kommen.
Dann zieht der ganze Familienclan singend, tanzend, klatschend, johlend mit den Zwillingen durch die Straßen. Ein Mitglied trägt eine Schüssel auf dem Kopf mit Weihegaben wie Schnaps und Gemüse und wankt in Trance mit, muss festgehalten werden.
Wenn Du jetzt an so was Prächtiges wie einen Karnevalsumzug denkst, dann liegst du völllig falsch. Es waren nur Familiengruppen unterwegs, davor und dahinter der ganz normale Verkehr d.h. unzählige Taxi - vorzugsweise Opel Kadett, Golf, japanische Autos, viele davon schrottreif und mit dunklen stinkigen Abgaswolken.
Ebensoviele Sammeltaxis -alte Kleinbusse vollgestopft mit Menschen und deren Gepäck. Auf der Rückseite hatten viele Kleinbusse einen frommen Spruch stehen wie: god bless you!  Jesus christ!  Praise the lord!

DINA und DEDE führten Susanne und mich vorher zu Gehöften ihrer Familie.
Zuerst zur Großmutter, über 90, sie konnte nicht mehr gehen, wurde von ihren Angehörigen im Stuhl rumgetragen. Sie verstand nicht, dass ich kein GA konnte  und wiederholte die Begrüßung, bis ich endlich das richtige sagte.
Dann ging es zur nächste Ecke. gefährlich nahe vorbei an Freiluft-Kochstellen mit großen Kochtöpfen in denen das Festessen brutzelte. Hier saßen viele Frauen, manche schon im Festkleid, andere in
Lockenwicklern, die sie im Umzug auf dem Kopf behielten und quatschten und lachten. Um uns herum immer große Scharen von Kindern. Männer waren kaum zu sehen.
Im dritten Gehöft des Clans waren Zwillinge, ein halbes Jahr alt. Susanne und ich bekamen jede ein Baby in den Arm gedrückt, etwa 30 Erwachsene stellten sich um uns rum, sangen und klatschten.
Später saßen wir bei den Frauen, wurden von den Kindern bestaunt. Ich konnte mich nicht satt sehen an dem Leben um mich rum: Frauen, die kochten, Kinder - das einzige Spielzeug, das ich bei ihnen sah, war ein kaputter Ball - Hühner mit Küken, Ziegen.

Den Umzug sahen wir dann vom Straßenrand aus d.h. wir mussten erst mal lange drauf warten, was mir aber recht war, denn so konnte ich viel Straßenleben beobachten.

Alle Menschen trugen unsere ausrangierten Kleider. Manche passten in den afrikanischen Alltag, andere absolut  nicht. Wir sind ja froh, dass wir unseren Überfluss über die Kleidersammlung entsorgen können und machen damit die Textilindustrie in diesen Ländern kaputt. D.h. sie kann erst gar nicht entstehen, weil die second-hand Klamotten einfach billiger sind.
Diese Zusammenhänge waren mir wohl bekannt, doch an diesem Tag habe ich sie sehr eindringlich und deutlich verstanden.

ELMINA


An der Küste von Ghana liegen 26 Sklavenburgen,  11 davon bezeichnet mein Reiseführer als sehenswert  und 15 als weniger schön.
Eine der besichtigungswürdigen ist ELMINA, die zusammmen mit der gleichnamigen Stadt zum Weltkulturerbe gehört.
Sie steht wirklich wunderschön in unschuldigen Weiss am Rand einer lebendigen Fischerstadt, ein krasser Gegensatz zu ihrer grauenvollen Geschichte:
60 Millionen Menschen wurden von Sklavenjägern eingefangen, 20 Millionen von ihnen erreichten Amerika.

Wir heuerten zwei starke Fischer an, die mich ohne Mühe eine große Treppe hochtrugen, so dass ich einen Teil der Führung mitbekam, genug um mir etwas von den unermesslichen Grausamkeiten des Sklavenzeit vorstellen zu können.

Anschließend gingen wir durch die Stadt Elmina, sahen und rochen den Hafen, trafen zwei -!- weiße Touristen, wollten den Friedhof der weißen Gouverneure besichtigen, die alle bald nach ihrer Ankunft an Malaria oder Gelbfieber gestorben waren, und wieder waren überall Verkaufsstände.
Leider konnte ich nicht alles so genau betrachten, wie ich wollte, sondern musste auch darauf achten, dass Dede mich nicht in die Abfallrinne schob oder Susanne, die neben uns ging, nicht in die Hacken fuhr.
An diesem Tag spürte ich die große Kraft der Tropensonne und kam sogar ins Schwitzen, weswegen ich auch kein Klo brauchte. Zu Glück: es hätte nämlich keins gegeben. Für alle Fälle hatten wir jedoch meinen Toilettenstuhl mit und hätten igendeine Lösung gefunden. Da vertraute ich Susannes praktischem Verstand und der Kraft von Dede und Dina.


Markt IN KASUA


In den letzten Tagen traute ich mich endlich, etwas auf eigene Faust zu unternehmen: ich wollte zum Markt nach KASUA, an dem ich in den letzten Wochen viele Male vorbei gekommen war.
Ich fuhr nicht am Markttag, an dem dort ein Riesengedränge herrscht, sondern an einem gewöhnlichen Tag. Es war trotzdem genug los.
Zur "Einstimmung" hatte KOFI gemeint: "Ein afrikanischer Markt ist voll, ist heiß, er stinkt und er ist schmutzig." Doch er konnte mich nicht von meinem Unternehmen abhalten und im nachhinein würde ich sagen, dass er nicht recht hatte.

So ganz allein war ich nicht, denn DINA undd DEDE waren natürlich mit, sowie FRANK, ein Mitarbeiter von Kasapa – Uncle Frank, wie er genannt wurde.
Ich habe auf dieser Reise oft bedauert, dass ich keine gute Fotografin bin, doch bei meinem Marktbesuch tat es mir besonders leid, denn diese vielfältigen, farbenfrohen Eindrücke kann ich kaum mit Worten widergeben.
Am meisten leuchteten die Tomaten in der Gemüseecke, daneben bergeweise rote und grüne Pfefferschoten, um die Tomaten zu würzen, viel unbekanntes, aber auch Obst, das zu uns exportiert wird – und natürlich längst nicht mehr so lecker ist, wenn es bei uns ankommt. Ich habe in diesen drei Wochen mehr frische Ananas gegessen als je vorher zusammen.
Zwischen Gemüse und Obst saßen Bäuerinnen mit riesigen Strohhüten.
Ich kaufte: ein Heft, zwei Ananas zum mitnehmen, ein Handtuch für DINA, einen Fächer aus Palmstroh für die Glut außerdem schaute ich einer Friseurin zu, die ihrer Kundin aus vielen kleinen Zöpfchen eine kunstvolle Frisur flocht.


Leider fällt mir noch kein richtiger Schluss ein, eine Zusammenfassung, ein Fazit.

Diese reise hat Kräfte wachgerufen, von denen ich nichts wusste, hat mich in Bewegung gebracht, und wenn ich mitten im afrikanischen Leben saß, wusste ich: genau das war es, was ich gesucht habe.
Autor: Remo Nemitz