Timbuktu - Mali



Timbuktu - der Hafen am Südrand der Sahara
 
Kaum eine andere afrikanische Stadt gab den Europäern seit dem ausgehenden Mittelalter Anlaß zu so vielen phnatastischen Spekulationen wie Timbuktu (heutige Schreibweise: Tomboucto). Die Erzählungen arabischer Reisender machten die Stadt bereits frühzeitig in Europa bekannt, und so erwähnt schon der katalanische Atlas Karl V. von 1375 einen Ort namens "Tenbuch" südlich von Teghaza zwichen "Melli" (Mali) und "Geugeu" (Gao). 1426 weiß der italienische Geograph Beccari von "Tumbettu", einer reichen Stadt am Südrand der Sahara, zu berichten. Anfang des 19. Jahrhunderts erreichte der Schotte Laing als erster Europäer die sagenumwobene Stadt; er konnte jedoch nicht mehr selbst über sie berichten, denn er wurde auf dem Rückweg nach Norden das Opfer eines Mordanschlags seiner eigenen Truppe. 1828 kam ein zweiter Weißer, der Franzose René Caillié, als Araber verkleidet nach Timbuktu. zu seiner großen Enttäuschung fand er statt goldener Paläste nur schmutzige, zerfallene Lehmhäuser und Armut. 1853/54 hielt sich für längere Zeit der Deutsche Heinrich Barth auf. Von ihm stammen die ersten detaillierten Berichte über die Menschen, den Handel sowie den Baustil der Häuser und Moscheen von Timbuktu. Viele seiner Beobachtungen haben auch heute noch Gültigkeit.
 
Die Ursprünge der Stadt liegen im Dunkeln. Im 12. Jahrhundert wird zum ersten Mal der "Ort der Wächterin Buktu" erwähnt ("Tin" heißt in der Sprache der Tuareg "Platz" oder "Ort"). Zu dieser Zeit diente der Ort als Lagerplatz der Tuareg-Hirten, die mit ihren Vieherden zwischen dem Niger und der Wüste hin und her wanderten.
 
Der Aufstieg Timbuktus begann unter den Malinke (Mandingo), die gegen Ende des 13. Jahrhunderts das Obernigergebiet unter ihre Kontrolle brachten. Bewohner der Siedlung waren damals islamische Berber des mit den Mauren verwandten Messoufa-Stammes, ihre schwarzen Sklaven und einige Songhay-Händler.
Kaufleute aus Djenné, der älteren Schwester von Timbuktu, hatten frühzeitig die verkehrsgünstige Position des Ortes erkannt, lag Timbuktu doch am nördlichsten Punkt des Nigerbogens, relativ nah zu den Salzbergwerken von Teghaza und zu den Kulturzentren in Nordafrika. Von Djenné kamen wichtige sudanische Produkte und Güter wie Goldstaub, Elfenbein, Leder, Colanüsse und Sklaven nach Timbuktu, von wo aus die Waren auf Kamelen nach Nordafrika transportiert wurden. Aus dem Norden brachten die Karawanen das lebenswichtige Salz, Seidenstoffe, Damast und andere orientalische Luxusgüter in den Sudan. Nach Berichten des arabischen Historikers Ibn Khaldoun schickte Ägypten jedes Jahr 12.000 Kamele ins Mali-Reich, wobei der größte Teil des Verkehrs über Timbuktu lief, den "Hafen der Wüste". Auf Booten gelangten alle Waren flußaufwärts nach Djenné, der Drehscheibe des mittelalterlichen Handels zwischen Wüste und Waldzone.
 
Mit der Eroberung Timbuktus durch die Malinke strömten Angehörige verschiedener Volksgruppen wie Soninke, Fulbe, Tukulor und Wangara-Händler, aber auch arabische Kaufleute aus dem Norden in die Stadt. Es entstanden die ersten nach ethnischen Gesichtspunkten getrennten Stadtviertel. 1325 legte Kankan Moussa auf dem Rückweg von seiner Pilgerreise nach Mekka einen längeren Aufenthalt in Timbuktu ein, um seine Macht an diesem wichtigen Endpunkt des Transsaharaverkehrs zu festigen. Beeindruckt von der Pracht am Hofe zu Kairo veranlasste er den Bau des Madugu, eines Palastes für seinen Statthalter, und die Vergößerung der Djinger-ber-Moschee, die heute nch zu den eindrucksvollsten Zeugnissen aus Timbuktus Vergangenheit zählt. Baumeister der neuen städtischen Architektur im sudanischen Stil war der andalusische Dichter und Architekt Es Saheli, den Kankan Moussa nach Mali mitgebracht hatte. Auch die zweite große, noch bestehende Moschee, die Sankore im Nordosten der Stadt mit ihrem gedrungenen, pyramidenförmigen Minarett, entstand zur Regierungszeit von Kankan Moussa (später schloss man an die Sankore eine große Universität an, die zu den berühmtesten ihrer Zeit im islamischen Afrika zählte).
 
Seit etwa 1400, nach dem Machtverfall des Mali-Reiches, geriet Timbuktu immer mehr in die Abhängigkeit der Tureg-Nomaden, die einen alljährlichen Tribut von der Stadt verlangten.
1468 ist ein tragisches Jahr in der Geschichte der Stadt. Die Konspiration der Ulema, der religiösen Führer der Stadt, mit den Tuareg erregte das Misstrauen von Sonni Ali, dem mächtigen Herrscher des aufstrebenden Songhay-Imperiums. Er ließ deshalb Timbuktu erobern und ein Blutbad unter den führenden klerikalen Familien anrichten. Bis zu seinem Tod im Jahr 1492 führte er seinen Kampf gegen den einflussreichen islamischen Klerus der Stadt. Zum ersten Mal tritt hier in der sudanischen Geschichte der Antagonismus zwischen der geistig führenden, "weißafrikanisch"-berberischen religiösen Elite und der weitgehned animistisch gebliebenen, schwarzafrikanischen politischen Führungsschicht zutage.
 
Trotz aller politischen Spannungen konnte Timbuktu im 15. Jahrhundert seine Stellung im Transsaharahandel weiter ausbauen, zumal die große Rivalin Oualata nach dem Überfall durch die Mossi geschwächt war und sich viele Kaufleute aus Oualata in Timbuktu niederließen. Direkte Verbindungen bestanden über die wichtige Saline Teghaza mit Marokko und über Tichit mit Ouadane, das den Handel mit Marrakech abwickelte. Timbuktu lieferte Goldstaub und Sklaven gegen saharisches Salz. Der Goldhunger der Maghrebländer im 15. Jahrhundert, der durch die große Nachfrage der portugiesischen und italienischen Kaufleute bewirkt wurde, führte zu einem ungeheuren Aufschwung des Transsaharahandels im späten Mittelalter, was in erster Linie dem Handelsplatz Timbuktu zugute kam.
 
Mit der Machtübernahme durch die Askia-Dynastie (1493 - 1592) der Songhay von Gao begann auc eine kulturelle Blütezeit Timbuktus. Im Gegensatz zu Sonni Ali unterwarfen sich die Askia-Herrscher ganz dem geistigen und religiösem Führungsanspruch der Ulema, die zu Ratgebern der Innen- und Außenpolitik wurden. Wissenschaft und Bildung wurden gefördert, und die nun mehrfach vergrößerte Sankore-Moschee erhielt eine Universität, an der die bekanntesten Doktoren und Schriftsteller aus Fés und Kairo lehrten. Die Gelehrten erhielten Land, Sklaven, Naturalien sowie die notwendige wissenschaftliche Literatur aus Ägypten und Marokko. In Timbuktu entstand eine große Bibliothek, in der man die fundamentalen theologischen und philosophischen Werke, u.a. auch von Aristoteles, kopierte. Wichtige Zweige der islamischen Wissenschaft waren arabische Sprache, Rhetorik, Rechtsprechung, Exegese des Koran und Medizin. Die islamische Religion war die Triebkraft dieses "sudanischen Humanismus". Alle Professoren hatten zugleich auch den Ruf großer Marabouts, Wissenschaft und Religion galten als Einheit. In seiner Blütezeit soll Timbuktu nicht weniger als 20.000 Studenten und 180 Medresen (Koranschulen) gehabt haben.
 
Mit der marokkanischen Invasion 1591/92 und der folgenden Vertreibung und Verschleppung der geistigen Elite aus Timbuktu war die Glanzzeit der stadt beendet; Timbuktu sank zu einer militärischen Etappenstation der marokkanischen Besatzungsarmee herab. Der Transsaharahandel verlagerte sich allmählich nach Osten auf die Strecke Kanem - Bornu - Fezzan - Libyen, die Einwohnerzahl der Stadt nahm ab.
Autor: Remo Nemitz